Missing Link: Hört bitte auf, Schauspieler digital jünger zu machen

Seite 2: Deepfakes statt De-aging

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Derweil kursieren auf YouTube diverse Clips, die Szenen als "Deepfakes" auf Heim-PCs umsetzten. Für Deepfakes werden neuronale Netze zunächst mit möglichst vielen Aufnahmen eines Schauspielers gefüttert. Im nächsten Schritt wird die Mimik einer anderen Person mit den erlernten Gesichtszügen kombiniert. Besondere Aufmerksamkeit erregten dabei die Videos des Briten Sam Head (Sham00k"), der unter anderem die digitalen Doubles aus "Rogue One", "Tron Legacy" und "The Irishman" sehr eindrucksvoll durch Deepfakes ersetzte.

Das Wort "eindrucksvoll" ist hier mit voller Absicht gewählt, denn selbst die Deepfakes überzeugen nicht hundertprozentig: Bei Kopfdrehungen flackern die synthetischen Gesichter immer mal wieder, auch verrutscht öfter der Fokus der Augen, mitunter scheinen sich die Haare vom Rest des Kopfs zu lösen.

Ein wesentliches Problem der Deepfakes ist, dass sich das Ergebnis nur schwer kontrollieren lässt. Noch schwerer fällt es, fehlerhafte Einzelbilder auszubessern: Hier existiert kein 3D-Modell, das sich optimieren ließe. Dennoch haben Deepfakes hohe Wellen geschlagen: Sham00k wurde vor zwei Jahren von ILM engagiert und wechselte in diesem Jahr zu Metaphysic.

Als das Marketing für "Indiana Jones und das Rad des Schicksals" (2023) begann, waren die üblichen Vorschusslorbeeren zu lesen, wie sie seit "Tron Legacy" zum Standard-Marketing-Bläh gehören. Drei Jahre lang habe ILM eine brandneue De-aging-Technik namens "Faceswap" entwickelt, die neuronale Netze und 3D-Köpfe kombiniert.

Dann kam Indiana Jones 5 ins Kino und Zuschauer durften selbst beurteilen, ob sich die Mühen gelohnt hatten. Und ja: In einigen Einstellungen kann man vergessen, dass De-aging am Werk ist. Aber gleich die erste Einstellung mit dem jungen Jones enthält einen Moment, in dem der digitale Schwindel ins Auge fällt: Acht Frames lang wirkt eines der Augen seltsam tot, während das andere lebendig glitzert. Dann funktioniert die Illusion für einige Sekunden, bis der digitale Ford den Kopf zur Seite dreht und wieder irgendwas nicht stimmt.

Viermal nicht Harrison Ford: In "Indiana Jones und das Rad des Schicksals" (2023) entgleisen dem digital entalterten Harrison Ford immer wieder kurz die Gesichtszüge.

(Bild: Walt Disney Pictures)

Dieses Hin und Her zieht sich durch alle Flashback-Sequenzen: Mehrere Sekunden lang funktioniert das De-aging, dann versagt der Effekt kurz und irgendwann ist der Nerd-Hinterkopf mit der Analyse der Fehlschläge beschäftigt und verliert dabei die Handlung aus den Augen.

Insgesamt ist das Ergebnis beim fünften "Indiana Jones" ähnlich durchwachsen wie in "Gemini Man": Auch dort überzeugt der verjüngte Will Smith immer mal für einige Sekunden, um dann unvermittelt wieder ins Uncanny Valley zu plumpsen.

Dabei gäbe es ja durchaus bewährte Alternativen. Ausgerechnet Indiana Jones ist hier ein gutes Vorbild: Für die Flashback-Sequenz in "Indiana Jones und der letzte Kreuzzug" (1989) spielte den jungen Indiana Jones schlicht ein anderer Schauspieler. River Phoenix studierte eingehend die Haltung und Ticks seines Vorbilds und baute sie subtil in seine Performance ein. Ein gelungener Schnitt (dieser hier) erledigt den Übergang zu Harrison Ford, fertig.

Dieselbe Methode bewährte sich auch in "Men in Black 3" (2012): Statt zu versuchen, Tommy Lee Jones digital zu entknautschen, schlüpft Josh Brolin für die Sequenzen im Jahr 1969 in die Rolle des jungen Agent K. Auch hier funktioniert die schauspielerische Mimikry durchgehend vortrefflich.

Manchmal ist auch weniger mehr: "Air" (2023) dreht sich um die Basketball-Legende Michael Jordan. Dieser tritt jedoch den ganzen Film über nur im Anschnitt, von hinten oder in Archivmaterial in Erscheinung. Das mag keine technische Revolution darstellen, hat aber den Vorteil, dass Zuschauer sich schnell an die Form gewöhnen und dann eben bei der Handlung bleiben, statt in Gedanken der jüngsten Special-Effects-Failure nachzuhängen.

Aber man kann natürlich auch 100 Millionen US-Dollar für einen halbgaren Effekt ausgeben, der immer wieder den Bann des Films bricht – so viel soll beim letzten "Indiana Jones" allein für das De-aging draufgegangen sein. Zum Vergleich: "Air" hatte ein Gesamtbudget von 90 Millionen US-Dollar.

Angesichts der offensichtlichen Schwächen aller De-aging-Ansätze und den gut funktionierenden Alternativen stelle ich mir bei jedem neuen Fehlschlag die Frage, warum Film- und Fernsehproduktionen trotzdem unverdrossen an digitalen Frischzellenkuren festhalten.

Nach über 15 Jahren voller Fehlschläge sollte man meinen, dass allen Beteiligten klar sein muss, dass das mit dem unsichtbaren De-aging wohl nichts mehr wird. Für kurze Einstellungen funktionieren digitale Doubles ganz vorzüglich, doch warum sollte man ihnen auf Teufel komm raus tragende Rollen aufbürden, wenn die Alternative so nahe liegt: Talentierte junge Schauspieler engagieren und spielen lassen.

Mal ganz hart gesagt: Wenn eine Geschichte nicht ohne De-aging zu erzählen ist, ist sie es womöglich nicht wert, umgesetzt zu werden. Nutzt kreative Workarounds, Leute, statt digitaler Krücken. Geld spart ihr dabei auch noch.

Aber nein, der nächste Verjüngungsfilm steht schon vor der Tür: "Here" (2024) mit Robin Wright und Tom Hanks. Zum Einsatz kommt diesmal das KI-basierte "Metaphysic Live", das die Falten der Darsteller in Echtzeit ausbügeln soll. Noch nie dagewesene Technik, bahnbrechender Effekt... wie immer also.

Vor drei Jahren stellte auf Reddit der User "LaoSh" eine spannende Frage: "'Uncanny Valley' bedeutet, dass wir uns vor Dingen fürchten, die fast menschlich aussehen, aber nicht ganz. Andere Tiere kennen diesen Effekt nicht und akzeptieren durchaus Dinge, die ihnen ähnlich sehen. Dies bedeutet, dass es an einer bestimmten Stelle unserer Evolution derart vorteilhaft war, vor fast menschlich aussehenden Dingen davonzulaufen, dass es in unsere Gene übergegangen ist. Wovor zur Hölle hatten wir solche Angst?"

Aktuell scheinen Filmstudios darauf abzuzielen, dass sich das Publikum daran gewöhnt, dass digital bearbeitete oder ersetzte Schauspieler nie ganz menschlich aussehen. Wenn sich ein Körper an bestimmte Dinge gewöhnen soll, gegen die er allergisch reagiert, heißt das Desensibilisierung.

Um mal eben die ganz große Verschwörungskeule aus dem Schrank zu ziehen: Auf welchen bevorstehenden Horror versucht Hollywood die Menschheit unterschwellig vorzubereiten? Hoffentlich ist es nur ein radikal verjüngter Vin Diesel.

(vbr)