Edit Policy: Streit um Impfstoff-Patente wird in Europa entschieden

Seite 2: Die ganze Welt in einem Jahr impfen

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Die Nichtregierungsorganisation Public Citizen hat kürzlich eine Studie vorgestellt, wie die Impfung der gesamten Weltbevölkerung binnen eines Jahres zu bewerkstelligen wäre. Nach aktuellen Prognosen müssen viele Länder des Globalen Südens noch bis 2023 auf flächendeckende Impfungen warten, die enttäuschenden Studienergebnisse des noch nicht zugelassenen Curevac-Impfstoffs könnten dazu beitragen, dass auch diese Schätzung nach hinten korrigiert werden muss. Klar ist, für weltweite Impfangebote binnen eines Jahres bedürfte es eines politischen Kraftakts. Doch Public Citizen zeigt, wie dieser gelingen könnte. Am vergangenen Donnerstag hat die Organisation die Studie im Rahmen einer Veranstaltung der Initiative #ZeroCovid vorgestellt.

Wenn sich die Regierungen auf eine Freigabe aller Immaterialgüterrechte verständigen, die für die Bekämpfung der COVID-19-Pandemie gebraucht werden – dazu gehören neben Patenten auch Urheberrechte und Geschäftsgeheimnisse auf Impfstoffkomponenten und Produktionsprozesse – und die Pharmaunternehmen bei angemessener Entschädigung verpflichten, am Technologietransfer mitzuwirken, wäre der Aufbau von ausreichend Produktionskapazitäten für die Versorgung der ganzen Welt binnen eines Jahres zu schaffen. Die Kosten dafür wären zwar beachtlich, aber im Vergleich zum wirtschaftlichen Schaden, den die Pandemie laufend anrichtet, vernachlässigbar. Außerdem wäre die Welt auf die nächste Pandemie deutlich besser vorbereitet.

Gerade die mRNA-Impfstoffe bieten erhebliche Chancen durch ihre Anpassungsfähigkeit an neue Mutationen oder gänzlich andere Krankheiten, sie können außerdem schneller produziert werden und erfordern kleinere Produktionsstätten, erklärte Zain Rizvi von Public Citizen bei der Diskussionsveranstaltung. Dr. Martin Friede von der Weltgesundheitsorganisation pflichtete bei, mRNA-Impfstoffe seien gar nicht so schwer herzustellen. Auch wenn sie eine sehr niedrige Aufbewahrungstemperatur erfordern, habe man mit denselben Anforderungen beispielsweise beim Ebola-Impfstoff im Kongo umgehen können.

Das größte Hindernis zur Beendigung der Pandemie ist also nicht ein angebliches technisches Unvermögen von Ländern des Globalen Südens, sondern der politische Wille der Industrienationen. Auf dem G7-Gipfel haben diese kürzlich bekannt gegeben, etwa 870 Millionen Impfdosen spenden zu wollen – angesichts der vielen Milliarden Dosen, die gebraucht werden, ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Es liegt nun an Deutschland und der EU, die Weichen für die Zukunft zu stellen: Wagt die Welt einen gemeinsamen Kraftakt, um Immaterialgüterrechte auszusetzen, neue Produktionsstätten auf der ganzen Welt zu bauen und die Pandemie binnen eines Jahres durch flächendeckende Impfungen zu beenden? Oder sehen wir zu, wie sich unter Inkaufnahme von Millionen Toten langsam eine Herdenimmunität durch Infektion herausbildet, unter der ständigen Gefahr, dass sich neue, resistente Virusvarianten entwickeln? In jedem Fall ist klar, die Pandemie ist für niemanden vorbei, bis sie für uns alle vorbei ist.

Die Texte der Kolumne "Edit Policy" stehen unter der Lizenz CC BY 4.0.

(kbe)