Saudi-Arabien: Wie das Mega-Stadtprojekt "The Line" vorankommt

Das Bauprojekt "The Line" soll 170 Kilometer lang werden: Satellitenaufnahmen zeigen den Fortschritt der gigantischen Stadt in der Wüste Saudi-Arabiens.

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(Bild: SOAR)

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Mark Harris
Inhaltsverzeichnis

170 Kilometer lang, bis zu einen halben Kilometer hoch, aber nur 200 Meter breit: Als eine "zivilisatorische Revolution" kündigte der saudi-arabische Kronprinz Mohammed bin Salman das städtebauliche Megaprojekt "The Line" zu Beginn des Jahres 2021 an. Bis zu neun Millionen Menschen sollen in der klimaneutralen Megastadt beherbergt werden, so die Idee. Innerhalb der komplett autofreien Stadtgrenzen sollen die Bewohner in unterirdischen Zügen und elektrischen Lufttaxis herumfahren.

Satellitenbilder des 500-Milliarden-Dollar-Projekts, die MIT Technology Review exklusiv zur Verfügung gestellt wurden, zeigen, dass die riesige lineare Baustelle von The Linie bereits Gestalt annimmt und pfeilgerade durch die Wüste und die Berge im Norden Saudi-Arabiens verläuft. Auf der an manchen Stellen mehrere Dutzend Meter tiefen Baustelle wimmelt es von Hunderten von Baufahrzeugen und vermutlich Tausenden von Arbeitern, die in großen Stützpunkten in der Nähe untergebracht sind.

Die Analyse der Satellitenbilder durch Soar Earth, ein australisches Startup-Unternehmen, das Satellitenbilder und von der Allgemeinheit erstellte Karten in einem digitalen Online-Atlas zusammenfasst, lässt vermuten, dass die Arbeiter bereits rund 26 Millionen Kubikmeter Erde und Gestein ausgehoben haben – das 78-Fache des Volumens des höchsten Gebäudes der Welt, des Burj Khalifa in Dubai. Offizielle Drohnenaufnahmen von der The-Line-Baustelle, die im Oktober veröffentlicht wurden, zeigen in der Tat, wie Flotten von Bulldozern, Lastwagen und Baggern die Fundamente ausheben. Verwunderlich: Besucht man den Standort von The Line auf Google Maps und Google Earth, so sind kaum mehr als nackten Fels und Sand zu sehen.

Die merkwürdige Lücke im Bildmaterial wirft die Frage auf, wer Zugang zu hochauflösender Satellitentechnologie hat. Und wenn die größte städtische Baustelle der Welt nicht auf Google Maps verfügbar ist, was können wir dann sonst nicht sehen? The Line ist ebenso umstritten wie futuristisch. Kritiker bezweifeln die praktische und ökologische Sinnhaftigkeit der Herstellung eines so gewaltigen Bauwerks in der Wüste. Und viele der Technologien, die dort zum Einsatz kommen sollen, sind noch nicht erprobt, darunter Cloud Seeding (Regenerzeugung per Geoengineering) Lufttaxis, verbesserte Haushaltsroboter und riesige Meerwasserentsalzungsanlagen mit erneuerbarer Energie. Auf einem Teil des Geländes lebte das Volk der Huwaitat, das aus dem Gebiet vertrieben wurde, um Platz zu schaffen. Eine Person, die gegen ihre Vertreibung protestierte, soll von saudischen Sicherheitskräften erschossen worden sein, drei weitere wurden kürzlich zum Tode verurteilt.

Dennoch begannen die ersten Bauarbeiten im April 2022. Im Juni vergab die Muttergesellschaft von The Line, Neom, die Aufträge für den Tunnelbau und die Sprengungen für die Hochgeschwindigkeits- und Güterzugtunnel. Als die Drohnenaufnahmen der ersten Arbeiten veröffentlicht wurden, begann sich Amir Farhand, CEO und Gründer von Soar Earth, zu wundern: Wo waren die hochauflösenden Bilder von diesem eine halbe Billion Dollar teuren Projekt?

Google bezieht seine Satellitenbilder von verschiedenen Anbietern, darunter von staatlichen Satelliten wie Landsat (USA) und Sentinel 2 (EU), aber auch von kommerziellen Anbietern wie Maxar und Planet. Während die Landsat- und Sentinel-2-Bilder mit geringerer Auflösung zum Herunterladen zur Verfügung standen und bestätigten, dass eine gewisse Bautätigkeit stattfindet, schien zumindest ein privates Unternehmen irgendwann im März aufgehört zu haben, hochauflösende Bilder von der Baustelle von The Line zu erstellen.

"Als wir begannen, die Bilder zu vergrößern, stellten wir fest, dass die Abdeckung durch Maxar erhebliche Lücken aufwies", sagt Farhand. "Tatsächlich gab es für die Öffentlichkeit keine hochauflösenden Bilder." Soar wandte sich dann an einige seiner Nutzer in der Open-Source-Intelligence-Community, die bestätigten, dass auch sie keinen Zugang zu detaillierten Bildern des Gebiets hatten. "Nicht nur wir hatten dieses Problem. Auch andere Leute hatten es", sagt Farhand. "Da dachten wir, dass etwas nicht stimmen kann."

Satellitenbilder des Mega-Bauprojekts "The Line" (7 Bilder)

Im gelb markierten Bereich von "The Line" sind zahlreiche Bagger zu sehen (rote Punkte), die Erde in die lila markierten Bereiche transportieren. Blaue Punkte, die Baufahrzeuge darstellen, sind überall auf der Basis für die Bauarbeiter zu sehen. Solarzellenfelder sind grün schattiert.
(Bild: SOAR)

Einer der wichtigsten kommerziellen Verwendungszwecke von Satellitenbildern ist es, Unternehmen dabei zu helfen, zu verstehen, wie es um ihre Konkurrenten oder ganze Länder auf dem globalen Markt bestellt ist – um zum Beispiel zu ermitteln, "wie viele Kräne gerade an der Skyline von Manhattan aktiv sind oder [wie viele] Öltanker im Hafen liegen", sagt Jamon Van Den Hoek, Geografieprofessor und Direktor des Conflict Ecology Lab an der Oregon State University. "Wenn es keine Maxar-Bilder von einem Gebiet gibt, in dem rasche wirtschaftliche Investitionen getätigt werden, ist etwas faul", bestätigt Van Den Hoek. "Die wahrscheinlich einfachste Erklärung ist, dass ein Geldgeber diese Bilder auf höchster Ebene erworben hat, wo er dann ein Exklusivrecht an ihnen hat."

Nicht jeder Experte stimmt dem zu. "Ich habe noch von keinem kommerziellen Unternehmen gehört, das versucht, die Dinge einzuschränken", sagt Doug Specht, Geographiedozent an der University of Westminster in London. "Meine unmittelbare Reaktion war der Gedanke, dass sich niemand um die hohe Auflösung gekümmert hat, weil wir uns mitten in der Wüste befinden und hochauflösendes Bildmaterial unglaublich teuer ist."

Stephen Wood, Senior Director der Presseabteilung von Maxar, erklärte gegenüber MIT Technology Review lapidar: "Wir haben keine aktuellen hochauflösenden Bilder, die über diese Gebiete gesammelt wurden." In einem Statement hieß es weiter, dass sich das Unternehmen in erster Linie auf die Gebiete konzentriert, die für Kunden von Interesse sind. Warum das bei The Line nicht der Fall sein soll, bleibt unklar. Jedoch: "Wenn wir Zeit für diese Aufnahmen haben, werden wir auch andere Gebiete erfassen – als Teil unserer allgemeinen Mission, den gesamten Globus kontinuierlich mit hochauflösenden Bildern zu versorgen." Man konzentriere sich jedoch in der Regel zunächst auf die Gebiete, die sich am stärksten verändern, etwa Städte. "Danach werden aber auch die anderen Bereiche des Globus erfasst."

Auf die Frage, ob Kunden exklusiven Zugang zu den Bildern von Maxar erhalten können, antwortete Wood: "Die große Mehrheit der von uns gesammelten Bilder wird in unser öffentliches Bildarchiv aufgenommen, das einen Eckpfeiler unseres Bildgeschäfts darstellt." Diese Bilder seien käuflich zu erwerben und werden "über eine Reihe verschiedener Vertragsarten" verkauft. Hochauflösende Planetenbilder von Teilen von The Line scheinen jedoch durchaus für die Lizenzierung zur Verfügung zu stehen, obwohl bisher noch keine Bilder auf Google Maps aufgetaucht sind.