Klimaforscher: "Zugleich passieren Dinge, die gegen die Dekarbonisierung laufen"

Im Vorfeld der Weltklimakonferenz spricht Jochem Marotzke vom Exzellenzcluster "Klima, Klimawandel und Gesellschaft" über Handlungsbedarf und Gleichgültigkeit.

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(Bild: nicostock/Shutterstock.com)

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  • Hanns-J. Neubert

Der Klima- und Meeresforscher Jochem Marotzke ist Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie und Professor an der Universität Hamburg. Er ist gleichzeitig stellvertretender Sprecher des Exzellenzclusters "Klima, Klimawandel und Gesellschaft" im Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) der Universität Hamburg. Außerdem war er an den beiden letzten IPCC-Berichten beteiligt.

Herr Professor Marotzke, Hitzewellen, wärmster Oktober seit Menschengedenken, CO2-Budget knapper als angenommen, außergewöhnlich warme Meere. All das sind dramatische Warnsignale des Klimas. Doch der Gesellschaft scheint völlig egal zu sein, was da wirklich passiert. Müsste man nicht eher in Panik verfallen?

Darauf gibt es häufig zwei Reaktionen: Lethargie und Hysterie. Klar ist: Wir haben seit Beginn der Wetteraufzeichnungen Rekordwerte. Ist das nun ganz neu, sind wir in einem ganz neuen Regime? Die Antwort: Nein, sind wir nicht. Denn zum einen sind die Zeiträume, die man betrachtet, viel zu kurz, um etwas auszusagen. Zum anderen erwartet man aus rein statistischen Erwägungen, dass Rekorde deutlich gebrochen werden, wenn der Klimawandel schnell voranschreitet – aber nicht, weil sich die Physik ändert.

Weil sich Physik nicht ändern lässt, müsste sich die Menschheit gerade jetzt noch stärker bemühen, ihre Treibhausgasemissionen drastisch senken. Warum scheint ihr das so egal zu sein?

Dafür gibt es Erklärungen aus der Psychologie und der Ökonomik. Immer wenn ein langfristiges Ziel im Konflikt steht mit einer kurzfristigen Krise oder einem kurzfristigen Vorteil, gewinnt das Kurzfristige. Langfristige Vorsorge zieht immer den kürzeren gegenüber kurzfristiger Aufmerksamkeit, kurzfristigem Lustgewinn, kurzfristigem ökonomischem Gewinn oder kurzfristigem Schutz gegen kurzfristige Bedrohung.

Aber da muss ich eine Einschränkung machen: Es gibt schon ein bisschen was an langfristiger Planung, aber die müsste eigentlich mit einer kurzfristigen Belohnung einhergehen. Sonst kommt das Gefühl auf, dass jetzt alles keine Rolle mehr spielt.

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Wissenschaftler sollten Politiker ja eigentlich beraten. Sind Politiker beratungsresistent?

So ein bisschen spielen wir als Wissenschaftler schon eine Rolle. Da muss man ebenfalls zwischen langfristig und kurzfristig unterscheiden. Langfristig war die Bedeutung der Wissenschaft riesig. Weniger durch direkte Beratung, sondern vor allem durch die Rolle des Weltklimarats IPCC. Was in der Zusammenfassung für Entscheidungsträger in den IPCC-Berichten steht, wird in den Klimakonferenzen nicht mehr in Frage gestellt.

Wenn es aber um konkrete Maßnahmen geht und diverse wissenschaftliche Beiräte der Bundesregierung befragt werden, dann würde ich sagen, sieht es eher dünn aus. Bei der Anhörung zum neuen Klimaschutzgesetz sagten alle Experten, egal ob sie von der Ampel eingeladen waren oder von der Opposition: Lasst das sein! Das wird nichts, was ihr da vorhabt. Ich habe ganz starken Zweifel, dass die Politiker darauf reagieren werden.

Was ist das Hauptproblem beim neuen Klimaschutzgesetz?

Ein Gesetzentwurf, der die sektorelle Verantwortlichkeit wieder rausschmeißt, bedeutet, dass sich alle, die nichts tun wollen, einen schlanken Fuß machen. Also Verkehr und Gebäude waschen die Hände in Unschuld und sagen dem Energiesektor: Für euch ist es doch einfacher, macht ihr mal. Reicht es dann irgendwann doch nicht, dann sagen sie: Ach, guck mal an.

Es ist durchaus wichtig, die kollektive Verantwortung auf einzelne Sektoren herunterzubrechen. Die Bundesregierung macht jetzt gerade das Entgegengesetzte. Ich glaube nicht, dass sie sich groß darum scheren wird, dass die Experten meckern. Ja, die Wissenschaft sagt schon mal was, aber für alle kurzfristigen Entscheidungen hat das, was die Wissenschaft sagt, nur einen geringen Effekt.

Ein wichtiges Thema der kommenden COP28 ist der sogenannte "Global Stocktake", die weltweite Bestandsaufnahme von Klimaschutzerfolgen. Aber die IPCC-Berichte sind doch eigentlich schon eine Bestandsaufnahme. Warum jetzt ein neues Format?

Das Stocktake hängt mit den IPCC-Berichten zusammen, ist aber ein sehr spezieller Teil. Es geht darum, die Selbstverpflichtungen der Länder zu überprüfen. Eigentlich ist es ein großes Ding, das jetzt zum ersten Mal richtig durchgeführt wird, nicht nur vorläufig, wie 2018. Aber im öffentlichen Diskurs spielt das praktisch überhaupt keine Rolle.

Im Idealfall solle es so sein, dass die Länder auch das melden, was sie getan haben, nicht nur, was sie ankündigen. Das soll auch überprüfbar sein. Ich fürchte, es wird von diesem Stocktake 2023 keine große politische Wirkung ausgehen. Die Ambitionen sind sehr, sehr überschaubar.

Angesichts der gesellschaftlichen und politischen Lethargie: Wie wahrscheinlich ist es denn, dass wir die selbst gesetzten Emissionsminderungen überhaupt noch erreichen?

Hier in Hamburg im Exzellenzcluster Klima, Klimawandel und Gesellschaft (CLICCS) geben wir jetzt jährlich den Bericht "Hamburg Climate Futures Outlook" heraus. Da schauen wir uns an, wie plausibel es ist, dass es zu den notwendigen Emissionsminderungen wirklich kommt. Also nicht nur, was wäre wünschenswert oder notwendig. Wir kommen darin zu dem Schluss, dass sich in der Gesellschaft durchaus etwas bewegt. Aber viel zu langsam, um das ehrgeizige Ziel zu erreichen, unterhalb von 1,5 Grad zu bleiben. Das ist nicht realistisch zu erwarten.

Warum geht es denn nicht voran?

Es geht zwar etwas voran, aber gleichzeitig passieren Dinge, die gegen die Dekarbonisierung laufen. Das ist einmal die Reaktion der großen Firmen, zum anderen das globale Konsumverhalten. Es wird ja enorm viel Geld in Öl- und Gasfirmen investiert für die Erschließung neuer Öl- und Gasfelder. Das spricht ganz klar gegen die Plausibilität, unterhalb der 1,5-Grad Grenze zu bleiben.

Zwar gibt es die Divestment-Bewegung, die Investitionen weg von den fossilen Energien lenken will. Ein ganz großer Player und Vorreiter beim Divestment ist der norwegische Pensionsfonds, der aber nur deswegen über Billionen von Euro verfügt, weil Norwegen Gas verkauft hat. Hoffnungsfroh stimmt das nicht.

(jle)