Test Alfa Romeo Stelvio Sprint 2.0 Turbo 16V: Hoher Einstieg
Alfa Romeo feierte mit der Giulia 2016 ein Comeback als Hersteller verführerischer sportlicher Fahrzeuge. Besser verkauft sich aber das SUV Stelvio. Zu Recht?
Die Giulia hat den Mythos Alfa Romeo neu erfahrbar gemacht. Seit wir sie als Testwagen hier hatten geht sie uns nicht mehr aus dem Sinn. Nur ganz wenige Fahrzeuge konnten einen solchen Grad an Fahrfreude vermitteln. In dieser Disziplin konnten weder ein BMW 3er (Test) [1], noch mehr als doppelt so teure Luxussportwagen mehr bieten. Um so unverständlicher und ungerechtfertigter erscheint es uns, dass die Giulia nur vergleichsweise wenige Kunden findet und Alfa stattdessen ein Mehrfaches von seinem SUV Stelvio verkauft. Ein Test eines Stelvio mit 200-PS-Einstiegsbenziner soll zeigen, ob der SUV tatsächlich das bessere Paket ist als die Sportlimousine.
Eigentlich mag ich SUV nicht. Aber schon beim Verlassen des Produktionsgebäudes nimmt mich die Stelvio-Silhouette in noch hellerem Blau ein als bei der der ehemaligen Test-Giulia. Das „Blu anodizzato“ (Blau eloxiert), stiehlt dem ebenfalls wunderschönen „Blu Monte Carlo“ von damals die Schau. Wenn es auch vielleicht auf Dauer zu auffällig sein könnte. Die Giulia-Formensprache mit ihren sinnlichen Rundungen funktioniert jedenfalls in unseren Augen auch in der Vollfettstufe Stelvio - zumindest in der drittteuersten Ausstattungslinie Sprint mit glanzschwarzer Lackierung für Riesenalus und Chrom Details.
Viel wichtiger ist jedoch das Fahren. Aber ist das wirklich so? Manchmal muss man einen Schritt zurückgehen. Denn beim Einsteigen entdecke ich den Grund, warum im Falle des Falles wohl auch ich gezwungen sein würde, von der Giulia zu träumen, aber den Stelvio zu bestellen.
Test Alfa Romeo Stelvio Das Äußere (0 Bilder) [2]
[3]Stelvio gewinnt den Alltagstest
Meine 84-jährige Mutter mit zunehmenden Gehbeschwerden hat mich über den Generationenvertrag als Privatchauffeur verpflichtet. Bei meiner Stelvio-Vorführung bestätigt sie meine Vermutung: „Ja, so ein tolles Auto. Da steigt man wunderbar ein und aus.“ Sie wiederholt das die ganze Woche, bei jedem Ein- oder Ausstieg. Meistens noch mit dem Hinweis, dass sie niemals geglaubt hätte, dass meine Lieblingsmarke Alfa Romeo so tolle Autos bauen könne. Für mehr Fahrfreude könnte ich diese Begeisterung meiner Mutter unmöglich ignorieren und eine Giulia kaufen.
Zumal ich im Giulia-Kofferraum mit seinen 480 Litern auch den Klapprollator nicht verstauen könnte - weniger aufgrund des Volumens, vielmehr liegt die Ursache in einer engeschränkten Zugänglichkeit. Der Stelvio hat einen gut nutzbaren Kofferraum mit 525 bis 1600 Litern. Die Rücksitzlehnen sind im Verhältnis 40:20:40 geteilt und komfortabel per Hebelzug vom Kofferraum aus klappbar.
Premium-Niveau
Ein BMW X3 liegt beim Kofferraumvolumen auf exakt dem gleichen Niveau. Beim Sitzkomfort insbesondere im Fond schien mir der Alfa sogar Vorteile zu haben. Die Verarbeitung und Materialauswahl des Stelvio-Cockpits entlockt einem einen lächelnden Seufzer spontanen Wohlbefindens. In der oberen Mittelklasse muss sich Alfa nicht mehr den selbsternannten süddeutschen Premiumwächtern geschlagen geben.
Zum einen kann auch dort die Verarbeitungsqualität schon lange nicht mehr uneingeschränkt mit dem Preisniveau Schritt halten. Zum anderen gefällt das Alfa-Interieur mit einer zurückhaltenden Harmonie und Ästhetik, wo die deutsche Premium-SUV-Landschaft manchmal mit Gestaltungs- und Materialorgien optisches Sodbrennen erzeugt. Zugegeben der Touchscreen für das Infotainment ist mit 8,8 Zoll im Vergleich zur Konkurrenz geradezu mickrig.
Ästhetik statt Funktionsflut
Im Alfa ist der Bildschirm aber nahtlos in die obere Linie des Armaturenbretts integriert. Deaktiviert wirkt er wie ein schwarzes Zierteil, das im Testwagen gut mit dem aufpreispflichtigen Lederbezug des oberen Bereichs von Türen und Armaturenbrett hamoniert. Alles, was wie Aluminium aussieht, fühlt sich auch so an. Ein BMW X3 erschlägt einen stattdessen mit einer Flut aus Plastikalu und einem grob geschnittenen Bildschirmaufsatz.
Der Stelvio würde in meinen Augen noch besser zur Geltung kommen, wäre nicht die Lederfarbe Weiß gewählt worden. Mich erinnert das immer an High-Society-Zahnarztpraxen, aber das ist natürlich Geschmackssache. Objektiv mehr Qualität im Interieur bietet nur Volvo. Die chinesische Marke mit schwedischen Wurzeln liefert mit dem XC60 den Klassensieger in der Kategorie Verarbeitung und Materialauswahl.
Bequeme Sitze
Der Raumkomfort vorne und hinten ist sehr gut. Die hintere Sitzbank stellt genügend Oberschenkelauflage zur Verfügung. Ein Bodenabstand des Sitzrahmens ermöglicht es, die Füße bequem auszustrecken. Leider verfügt unsere „Sprint“-Version aber nicht über die Sportsitze der „Veloce“-Ausstattung, die die Giulia damals hatte. Mit elektrischer Justierbarkeit von Lehnenwangenbreite und Sitzflächenneigung gehören Sie zum besten, was die obere Mittelklasse an Sitzmöbel zu bieten hat. Ich könnte daher nicht auf das 2000 Euro teure Veloce-Paket verzichten.
Die Standardsitze bieten in etwa so viel Seitenhalt und Bequemlichkeit, wie die aufpreisfreien Sitze in einem BMW X3. Sie haben also sowohl bei der ergonomischen Unterstützung für Langstrecken als auch insbesondere im Seitenhalt spürbare Defizite. Eine tadellose Sitzposition ist jedoch auch mit dem Standard-Gestühl in Sekunden gefunden, in der „Sprint“-Ausstattungslinie des Testwagens sogar elektrisch und für den Fahrer auf drei Memorytasten speicherbar.
Es ist natürlich absolut unmodern, auf Rundinstrumente statt Bildschirme zu starren. Im Stelvio mit chromumrandeten, fein gezeichneten Uhren erfährt der Automobilliebhaber, wie angenehm heutzutage Verzicht sein kann. Schwerer fällt es, auf ein Head-up Display zu verzichten.
Die Eingabe eines Navigationszieles offenbart einige Defizite im Infotainment. Der Touchscreen reagiert zum Teil nur sehr widerstrebend auf die Berührung, der er seinen Namen verdankt. Die Tom-Tom-Navigation präsentiert die gleichen Grafiken wie die Smartphone-App aus dem gleichen Hause. Einen Sprachassistenten gibt es nicht. Wer auf die neueste Infotainmentgeneration Wert legt und das Autofahren als Störung beim SMS-Schreiben empfindet, der wird keinen Alfa wollen und hätte ihn auch nicht verdient.
Sinnlich und praktisch
Andere dagegen werden mit Freude zur Kenntnis nehmen, dass man intuitiv ohne hinzusehen, die Klimaanlage bedienen, die Radiolautstärke verstellen und natürlich Fahrfunktionen bedienen kann. Alles ist selbsterklärend, alles liegt gut zur Hand. Mit dem Stelvio fühlt man sich sofort verwachsen. Nur den Startknopf sucht man auch nach längerer Zeit immer wieder mal vergeblich auf der Mittelkonsole, bis man sich daran erinnert, dass er im Lenkrad integriert ist.
Auf dessen Druck folgt verunsicherte Ernüchterung. Das rauhe Scharren des Zweiliter-Einstiegsbenziners mit 200 PS erinnert an einen gut gedämmten Vierzylinder-Diesel und hat leider ganz und gar nichts mehr mit dem legendären Sound der Alfa-Doppelnocker aus den Fünfzigern, Sechzigern und Siebzigern zu tun.
Test Alfa Romeo Stelvio Cockpit (9 Bilder) [4]
[5](Bild: alle Christian Lorenz)
Zu den modernen Alfas diesseits der jenseitigen Quadrifoglio-Versionen mit 510 PS starken Ferrari-V6 passt in Leistungsentfaltung, Akustik und Verbrauch der 210-PS-Diesel sehr gut, wie der Giulia-Test zeigte. Er hat in seinem Dieselnageln einen leicht aggressiven Unterton. Außerdem hängt der Diesel mindestens ebenso gut am Gas wie dieser Turbobenziner in unserem Stelvio. Mein Kollege Martin ist sogar der Meinung, das Turboloch sei beim Benziner im Gegensatz zum Diesel noch deutlicher ausgeprägt. Ich habe an der Leistungsentfaltung weniger auszusetzen. Es ist zwar nicht so, dass der Stelvio vor lauter Leistung nicht mehr gehen könnte. Man könnte sich hin und wieder schon etwas mehr Leistung vorstellen.
Kein Mildhybrid
Zumal der wohlstandsadipöse SUV ja im Vergleich zur Giulia gut 230 kg mehr Gewicht (leer mit Fahrer) zu tragen hat. Den Einstiegs-Stelvio aber als müde zu bezeichnen, spricht für eher krankhaften Anspruchswahn. Das zusätzliche Anfahrdrehmoment eines 48-Volt-Bordsystems wie serienmäßig im BMW X3 würde aber beim Stelvio jede Idee einer Anfahrschwäche hinweg zaubern. Der Riemenstartergenerator des Stelvio ist auch in Stopp-and-Go-Situationen deutlich unkomfortabler. Wenn man bis fast zum Stillstand an der Ampel bremst, die in diesem Moment von Rot auf Gelb springt, verschluckt sich der Stelvio unschön. Das ist zwar auch auf hohem Niveau gejammert, aber wenn man einmal erlebt hat, wie souverän und sanft das bei den anderen Mildhybriden funktioniert, will man das immer so haben.
Hinzu kommt, dass Alfa zumindest eine Spur Alternatives bei seinen Antrieben bitter nötig hätte. Denn unter 9 Liter auf 100 km mit dem Stelvio-Benziner zu verbrauchen, ist auch bei zurückhaltender Fahrweise kaum möglich. Im Testbetrieb mit nur wenig Stadtanteil wurde ein Durchschnittsverbrauch von 10,5 Litern auf 100 km erreicht. Das ist im schlechten Sinne unzeitgemäß. Geradezu ärgerlich erscheint, dass sämtliche Alfa-Romeo-Modelle (Preisliste Stand: Juli 2020) noch auf die Euronorm 6d-Temp homologiert sind. Bereits ab 1. Januar 2021 sind diese Fahrzeuge nicht mehr erstzulassungsfähig. Wir gehen davon aus, dass Alfa Romeo seine Modelle um den Erscheinungszeitpunkt dieses Fahrberichts herum endlich auf die aktuelle Abgasnorm Euro 6d-ISC-FCM [6] umstellen wird.
Nur Giulia kurvt besser
Dass der Stelvio seinen Namen vom Stilfser Joch in Südtirol hat, hat sich bestimmt schon herumgesprochen. Das ist eine schöne Wahl, die Berglandschaft mit Allradbedarf einerseits und traumhaft-ambitionierte Kehrenhatz im Bergrennmodus in einem sinnlichen Begriff vereint. Beim Fahren kann der Stelvio seinen Anspruch als Dynamik-SUV auch einlösen. Mehrgewicht und höherer Schwerpunkt im Vergleich zur Giulia sind aber stets spürbar. Wo die Giulia, “Schneller!”, ruft, schreit der Stelvio: “Langsam werde ich seekrank”.
Das sind dann die Momente, wo man der Giulia auf hohem Niveau nachtrauert. Auch wenn der schnelle Tanz um Serpentinen im Dynamik-Modus mit dem Stelvio großen Spaß macht. Die aus den BMW-Modellen sattsam bekannte Achtgang-Wandlerautomatik von ZF und der heckbetonte Allradantrieb arbeiten begeisternd zusammen. Das Ergebnis ist immer genau die Leistung die man haben will und die richtige Traktion, damit sie auf die Straße kommt. Die großen, ergonomisch weit herumgezogenen Schaltpaddles bräuchte man gar nicht zu bemühen. Man macht es höchstens aus Spaß.
Test Alfa Romeo Stelvio Sitze und Kofferraum (7 Bilder) [7]
[8]Dieser Spaß hat aber auch seinen Preis. Unser Testwagen kostet mit sehr umfangreichen Ausstattung mit großem Sound-, Assistenzpaket, elektrischen Ledersitzen und expressiv-edler Optik etwas über 60.000 Euro. Ein nahezu identisch ausgestatteter BMW X3 xDrive20i kostet nur wenige tausend Euro mehr. Allerdings kommt der BMW mit einem 184-PS-Einstiegsbenziner, den wir bereits als wenig inspirierend kennengelernt haben.
Die Achillesferse des Alfa ist aber der zu erwartende Wertverlust. Unser Tipp wäre, ihn als jungen Gebrauchten oder Jahreswagen zu erwerben. Dann könnte man die Euro-6d-Temp-Norm dem Verkäufer preismindernd um die Ohren schlagen. Mit etwas Glück könnte der Weg dann für wenig mehr als 40.000 Euro zu einem fast neuen, lecker ausgestatteten Stelvio führen. Eine Giulia wäre das zwar nicht, aber es gibt schlimmere Schicksale. Und der Einstieg ist wirklich großartig.
Der Hersteller übernahm beide Überführungsfahrten und sämtliche Spritkosten.
Preisliste
Modell | Alfa Romeo Stelvio 2.0 Turbo 16V |
Ausstattungslinie | Sprint |
Preis für diese Ausstattungslinie | 49.714 |
Infotainment | |
DAB+ | Serie |
USB-Anschluss | Serie (vorne und hinten) |
Soundsystem | ab 828 |
Navigationssystem | 1462 |
Verkehrsdaten in Echtzeit | Im Lieferumfang Navi (1462) |
Freisprecheinrichtung | Serie |
Head-up-Display | - |
Assistenz | |
Abstandstempomat | Serie |
Einparksensoren vorn | 487 (inkl. Rückfahrkamera) |
Einparksensoren hinten | Serie |
Einparkassistent | - |
Rückfahrkamera | 487 |
Totwinkelwarner | 1297 (Paket) |
Müdigkeitserkennung | 1297 (Paket) |
Spurhalteassistent | 1297 (Paket) |
Matrix-Licht | - |
Funktion | |
Xenon-Licht | Serie |
LED-Scheinwerfer | - |
elektrische Heckklappe | Serie |
Alarmanlage | im Paket mit Navigation (1462) |
schlüsselloser Zugang | 584 (Paket) |
Fahrwerksoption | 1170 |
Komfort | |
Sitzheizung | 633 (Paket) |
Ledersitze | Serie |
Optionssitze | 1950 (Paket) |
beheizbares Lenkrad | 633 (Paket) |
Lederlenkrad | Serie |
Klimaautomatik | Serie |
Automatikgetriebe | Serie |
Schiebedach | 1608 |
Sonstiges | |
Metalliclack | 926 |
Leichtmetallfelgen | Serie |
Preisliste Stand | August 2020 |
Mehrwertsteuersatz | 16 Prozent |
Datenblatt
Hersteller | Alfa Romeo |
Modell | Stelvio 2.0 Turbo 16V |
Motor und Antrieb | |
Motorart | Benziner |
Zylinder | 4 |
Ventile pro Zylinder | 4 |
Hubraum in ccm | 1995 |
Bohrung x Hub | 84 x 90 |
Leistung in kW (PS) | 147 (200) |
bei U/min | 4500 |
Drehmoment in Nm | 330 |
bei U/min | 1750 |
Antrieb | Allrad |
Getriebe | Wandler-Automatik |
Gänge | 8 |
Fahrwerk | |
Spurweite vorn in mm | 1627 |
Spurweite hinten in mm | 1674 |
Lenkung | Zahnstange, elektrische Servounterstützung |
Wendekreis in m | 11,75 |
Reifengröße vorn | 225/65 R17 102V |
Reifengröße hinten | 225/65 R17 102V |
Bremsen vorn | Scheiben 330 x 28, innenbelüftet,4-Kolben |
Bremsen hinten | Scheiben 320 x 22, innenbelüftet, 1-Kolben |
Maße und Gewichte | |
Länge in mm | 4687 |
Breite in mm | 1903 |
Höhe in mm | 1693 |
Radstand in mm | 2818 |
Kofferraumvolumen in Litern | 525 |
max. Kofferraumvolumen in Litern | 1600 |
Leergewicht in kg nach EU inklusive 68 kg Fahrer und 7 kg Gepäck | 1735 |
Zuladung in kg | 615 |
Anhängelast in kg | 1600 (gebremst) |
Tankinhalt in Litern | 64 |
Fahrleistungen | |
Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in Sekunden | 7,2 |
Höchstgeschwindigkeit in km/h | 215 |
Verbrauch | |
Verbrauch NEFZ in Litern/100 km | 7,0 - 7,1 |
Testverbrauch Minimum in Litern | 9 |
Testverbrauch Durchschnitt Litern | 11,5 |
CO2-Emission WLTP in g/km | 202 - 222 |
Abgasnorm | Euro 6d-TEMP |
Daten Stand | 01.05.2020 |
(chlo [9])
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[5] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_4887387.html?back=4888543
[6] https://www.heise.de/autos/artikel/Abgasnorm-Euro-6-Was-wichtig-wird-4600305.html
[7] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_4887389.html?back=4888543
[8] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_4887389.html?back=4888543
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