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Warum die IT-Security für Frauen kein attraktiver Arbeitsort ist

Philipp Steevens

Männer trauen Frauen oft nicht zu, IT-Experten zu sein und behindern sie mit Vorurteilen und Ignoranz. Avast-CISO Jaya Baloo erklärt, was sich ändern muss.

Um dem Fachkräftemangel in der IT-Security zu begegnen, braucht es mehr weibliche Experten. Das war eines der Kernthemen auf der it-sa 2022 in Nürnberg. Dazu passte eine Panel-Diskussion, bei der sich weibliche Führungskräfte zum Thema Frauen in der Cybersicherheit austauschten. Eine der Teilnehmerinnen war Jaya Baloo, CISO (Chief Information Security Officer) von Avast. Baloo hielt in diesem Jahr die Special Keynote der Messe zum Thema Quantenkryptografie. Im Interview mit iX sprach sie über Chancen für Frauen, Wettbewerb und ihre eigenen Erfahrungen mit Diskriminierung durch männliche Kollegen.

Im Interview: Jaya Baloo

(Bild: 

NürnbergMesse/Thomas Geiger

)

Jaya Baloo arbeitet seit mehr als 20 Jahren in der IT-Sicherheit, ihr Schwerpunkt liegt auf sicheren Netzwerkarchitekturen. Daneben ist Baloo Mitglied des Beirats des niederländischen Nationalen Zentrums für Cybersicherheit, Aufsichtsrätin beim Cybersecurity-Fund TIIN Kapital und stellvertretende Vorsitzende des Strategic Advisory Board des EU Quantum Flagship.

iX: Wie können Unternehmen Frauen langfristig in MINT-Berufen halten? Nicht nur im Bereich Cybersicherheit, sondern im technischen Bereich insgesamt?

Jaya Baloo (JB): Ich denke, das ist für alle gleich. Man muss Menschen Dinge zu tun geben, die sie gut können. Die sie mit Leidenschaft tun. Nicht jeder Teil eines Jobs muss super viel Spaß machen, aber die meiste Zeit über sollte etwas da sein, das einen dazu bringt, am nächsten Tag mit einer positiven Einstellung zurückzukommen. Und um das zu erreichen, sollten Menschen ihre Arbeit interessant finden. Ob sie nun etwas Neues lernen oder tun oder etwas machen, das sie unglaublich gut können, auch wenn es nicht neu ist. Wir verbringen 90 Prozent unseres Tages mit Arbeit. Wenn also keine Anziehungskraft vorhanden ist, wird kein Job für Männer oder für Frauen auf Dauer attraktiv sein.

iX: Manche Tage sind langweilig oder schleppend. Wie kann man sich in solchen Fällen motivieren?

JB: Ich lasse mich durch unmögliche Herausforderungen motivieren. Das ist auch die Art und Weise, wie ich Ziele handhabe, die wir im Team erreichen wollen. Wenn ich mit meinem eigenen Team zusammenarbeite, muss ich sicherstellen, dass wir das richtige Maß an Herausforderungen finden. Die Aufgaben dürfen dabei nicht so überwältigend sein, dass man sich erschöpft fühlt, bevor man überhaupt angefangen hat. Man muss das richtige Maß finden, um die gewünschten Ziele zu erreichen, während die Probleme gleichzeitig motivierend sind. Das ist die Herausforderung.

iX: Glauben Sie, dass es einen Unterschied in der Arbeitsweise von Frauen und Männern gibt?

JB: Ich beobachte in meinen Teams, dass Frauen ihre Aufgaben oft möglichst perfekt vorbereiten, bevor sie überhaupt mit der Ausführung beginnen. Dabei glauben Frauen oft, dass sie nicht gut genug sind, wenn sie ein Thema nicht vollständig durchdrungen haben. Wenn Frauen etwas geschafft haben, neigen sie dazu, es für sich zu behalten. Sie erwarten eher, dass andere die Ergebnisse von alleine anerkennen. Ein ganz anderes Verhalten sehe ich bei vielen männlichen Kollegen. Die Männer reden viel eher über das, was sie gemacht haben. Für sie ist es einfacher, etwas Neues auszuprobieren und dabei Fehler zu machen.

Bei Projekten gibt es ein Vorher, ein Währenddessen und ein Nachher. Männern fällt es leichter anzufangen. Während des Prozesses herrscht viel Hektik, und von Frauen hört man nicht, wie es läuft. Sie denken, sie müssten alles selbst in Ordnung bringen. Ich glaube, Frauen haben Angst, um Hilfe zu bitten. Männern fällt es viel leichter zu sagen: Okay, das funktioniert nicht, weil dieser Typ ein Idiot ist oder diese Frau mir nicht hilft. Ein Mann tritt während eines Projekts eher in den Dialog und bittet um Hilfe. Nachher höre ich häufiger von Männern, dass das Projekt hervorragend gelaufen ist.

iX: Wenn ich mir als Teamleiter dieser unterschiedlichen Arbeitsstile bewusst bin, wie kann ich den Leuten den Einstieg erleichtern und ihnen helfen, sich nicht zu viele Sorgen zu machen?

JB: Es geht darum, Raum zum Scheitern zu lassen. Wir mögen kein Scheitern, weil es peinlich ist. Es ist teuer und entmutigend. Daher empfehle ich starken Führungskräften, in ihren Teams ein schnelles Scheitern zuzulassen. Wenn etwas nicht funktioniert hat, analysiert man es und versucht es erneut. Möglicherweise scheitert man wieder. Aber schnell scheiternde Prozesse bedeuten, dass man die Fähigkeit zur Iteration hat. Mit jedem Anpassen wird man besser.

In Unternehmen gibt es oft keinen Raum für Fehlschläge. Man hat große Multi-Millionen-Dollar-Projekte, die sich über Jahre hinziehen. Und dann stellt man plötzlich fest: Wir haben etwas gebaut, aber es löst nicht das ursprüngliche Problem. Oft führt das zu einem Dilemma mit riesigen Kosten. Wenn man bereits x Millionen für ein technisches Produkt ausgegeben hat, füttert man die Bestie weiter, anstatt zu sagen, dass es nicht funktioniert. Besonders bei Menschen in der Tech-Branche hilft aber eine Philosophie des schnellen Scheiterns. Man erfindet etwas, aber scheut sich nicht, es kaputt zu machen, zu scheitern und es dann neu zu erfinden.

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iX: Gibt es eine Möglichkeit, mehr Menschen dafür zu gewinnen, in technische Berufe einzusteigen?

JB: Ehrlich gesagt ist meine größte Sorge, dass wir der Gesellschaft immer noch nicht beibringen, sich mehr an Wissenschaft, Technologie, Ingenieurwesen und Mathematik zu orientieren. MINT-Programme sind nicht ausreichend in unser Schulsystem integriert. Ich sehe das bei meinen eigenen Kindern. Es tut mir fast körperlich weh, dass sie in ihrem naturwissenschaftlichen Unterricht nicht genug experimentieren. Da sind nicht genug Dinge, mit denen sie spielen und die sie kaputt machen können. Außerdem gibt es nicht genug Lehrer, die sich die Zeit für Experimente nehmen. Wir brauchen eine spielerische Herangehensweise.

Überlegen Sie einmal, in wie vielen Schulen Programmieren gelernt wird. Kinder lernen Französisch, Englisch, Deutsch und Spanisch. Aber es existiert kein strukturelles, nationales Programm dafür, dass jeder, der die Mittelstufe abschließt, mindestens eine Computersprache beherrschen muss. Ob das nun Python oder C oder was auch immer ist. Man muss eine Art Mindestniveau haben. Wir haben das für Englisch. Warum sollten wir das nicht auch für das Programmieren haben?

iX: Selbst mit viel Spezialwissen: Frauen müssen sich oft zwischen Familie und Beruf entscheiden. Wie kann man den Wunsch nach Kindern und einer Familie mit einem hochrangigen Job und einem Karrierefokus verbinden?

JB: Also ich habe drei Kinder und hatte immer hochrangige Jobs. Ich habe einen fantastischen Ehemann, und wir betrachten das Ganze im Grunde als Miniunternehmen. Es ist eine Aufgabe, die man erledigen muss. Ich glaube allerdings, dass es eine Sache gibt, die das Leben tatsächlich schwieriger macht: diese ganze Vorstellung von einer Work-Life-Balance. Ich finde, es gibt da kein Gleichgewicht. Entweder gibt es Arbeit oder Leben. Entweder man ist mit seinen Kindern zusammen oder man ist im Büro.

Ich versuche präsent zu sein, wenn ich zu Hause bin. Wenn meine Kinder mit mir sprechen, checke ich nicht im Hintergrund meine E-Mails. Wenn ich mit ihnen zusammen bin, versuche ich, einfach bei ihnen zu sein. Ich stelle Blickkontakt her, spiele das, was wir gerade spielen, oder spreche über das, worüber wir gerade sprechen. Und das ist das Einzige, was wir meiner Meinung nach tun sollten. Und wenn ich auf der Arbeit bin, bin ich ganz auf der Arbeit. Da will ich nicht hören "Ah, er schlägt mich" oder "Sie hat die ganze Erdnussbutter gegessen". Für so etwas habe ich keine Zeit. Ich bin also entweder ganz bei der Arbeit oder ganz im Leben, aber ich kann nicht beides gleichzeitig tun.

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iX: Glauben Sie, dass Jobsharing ein guter Weg ist, Familie und Karriere zu vereinbaren?

JB: Wenn wir selbstlos und nicht egoistisch wären und jeder alles teilen könnte, wäre das eine schöne Gesellschaft. Leider ist das nicht der Fall. Um ganz ehrlich zu sein: Ich weiß nicht, ob ich meinen Job teilen möchte. Für Unternehmen gibt es andere Möglichkeiten, es Familien leichter zu machen. Ich spreche nicht nur von den Müttern, sondern auch von den Vätern. Es muss möglich sein, dass Menschen neben ihrer Arbeit eine Familie haben können.

Ich glaube, Corona hat uns Work-Life-Balance fast aufgezwungen. Wir waren plötzlich zu Hause und haben unsere Kinder wiedergesehen. Dabei ist es eine wirklich gute Sache, dass wir die Möglichkeit erkannt haben, von überall aus arbeiten zu können. Genauso wie die Erkenntnis, dass es eigentlich ganz gesund ist, mitten am Tag mit dem Hund spazieren zu gehen. Unternehmen sollten darüber nachdenken, wie sie sicherstellen können, dass das dauerhaft möglich ist und nicht nur eine Anomalie wegen Corona war. Dass wir tatsächlich sagen: Das ist die intelligenteste Art und Weise, wie die Menschen auf diesem Planeten leben können. Lasst uns das übernehmen. Das ist der erste Schritt.

Der zweite Schritt ist vielleicht das Einrichten von Kindertagesstätten im Büro. Wenn Führungskräfte verlangen, dass die Beschäftigten im Büro sind, sollten sie prüfen, wie sie dann den Bedürfnissen der Mitarbeiter gerecht werden können. Welche zusätzlichen Möglichkeiten gibt es im Büro, um sicherzustellen, dass Beruf und Familie gut vereinbar sind? Ich glaube wirklich, dass die Menschen ihr Bestes geben wollen. Sie wollen großartig sein, nicht nur als Angestellte, sondern auch als Mütter und Väter. Wenn sie also ihr Bestes geben wollen, warum ermöglichen wir ihnen dann nicht, genau das zu tun?

iX: Wenn Menschen an ihr Bestes denken, schauen sie manchmal nur auf sich selbst. Wie nehmen Sie Konkurrenz in der IT-Sicherheit wahr? Insbesondere zwischen Männern und Frauen?

JB: Ich bin sehr für Wettbewerb. Ich möchte nie wegen meines Geschlechts oder meiner Hautfarbe eingestellt werden. Das sind zwei Dinge, auf die ich keinen Einfluss hatte. Sie wurden mir gegeben. Leider habe ich das Gefühl, dass sich mein Geschlecht und meine Hautfarbe sehr oft zu meinem Nachteil auswirken. Die Menschen sind weniger in der Lage, meine tatsächlichen Qualitäten, die Entscheidungen, die ich treffe, oder meine Denkweise zu sehen. Das sind die einzigen Dinge, die ich beeinflussen kann, und deshalb sind das die Dinge, die mir wichtig sind. Es ist mir lieber, dass sie mich einstellen, weil ich die beste Person für den Job bin.

iX: Sind Sie in Ihrer Karriere schon mal nach Ihrer Hautfarbe oder Ihrem Geschlecht beurteilt worden? Und was hat Ihnen in solchen Situationen geholfen?

JB: Mein Geschlecht und meine Hautfarbe haben sich sehr oft zu meinem Nachteil ausgewirkt. Ich glaube, die Leute nehmen automatisch an, dass ich eine Sekretärin bin und nicht die Ingenieurin. Dass ich keine Ahnung von der neuesten, tollsten Technik habe. Ich glaube, dass mich bald noch etwas anderes treffen wird, nämlich die Altersdiskriminierung. Ich werde mich in meinem Leben mit allen möglichen Vorurteilen auseinandersetzen müssen. Mit Sexismus, Rassismus und Altersdiskriminierung. Ohne solche Diskriminierungen wären wir viel glücklicher. Wir könnten uns wieder darauf konzentrieren, eine fortschrittliche Gesellschaft zu schaffen, diesen Planeten zu verlassen oder zu reparieren. Ich würde mich lieber auf Ideen und Dinge konzentrieren, die wir tun könnten, als unbedingt auf die Vorbehalte, die wir uns leider selbst aufgedrückt haben.

iX: Wie können sich Frauen helfen, wenn sie von ihren Kollegen – vor allem den männlichen – diskriminiert werden?

JB: Das Wichtigste ist, sich Verbündete zu suchen. Und das sind nicht nur Frauen. Wir können dieses Problem nicht nur mit Frauen lösen. Ich fordere keine Gesellschaft, in der es nur Frauen und ihre weiblichen Rollenbilder gibt. Ich glaube nicht, dass das funktioniert. Männer müssen sich genauso oder sogar mehr engagieren und verstehen, dass man nur mit einem vielfältigen Team die besten Entscheidungen treffen und das beste Produkt herstellen kann. Nur so können wir uns an Veränderung anpassen.

Wettbewerb findet nicht nur zwischen Männern und Frauen statt. Wettbewerb ist ein globales Phänomen. Wenn wir Dinge wirklich besser machen wollen, dann müssen wir aus unserer engstirnigen Nabelschau herauskommen, aus unserem "Wie kann ich mit dieser Person konkurrieren?". Wir müssen viel, viel größer denken. Um auf nationaler oder internationaler Ebene mithalten zu können, müssen Teams sich auf alle Arten von Vielfalt konzentrieren. Das bedeutet nicht nur auf die Geschlechtervielfalt, sondern auch auf die neurodynamische Vielfalt. Und um dort hinaufzukommen, muss man an der Wurzel des Problems ansetzen.

Die englischsprachige Originalversion dieses Interviews findet sich ebenfalls online [7]. Es erscheint auch in der kommenden iX 1/23, die am 22. Dezember herauskommt. (pst [8])


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[4] https://www.heise.de/hintergrund/Computergeschichte-Ideen-von-Frauen-haetten-unsere-Welt-radikal-veraendert-7332327.html
[5] https://www.heise.de/hintergrund/Silicon-Valley-Im-Club-der-weissen-Jungs-7332319.html
[6] https://www.heise.de/hintergrund/Medizin-Ueber-die-unterschaetze-Rolle-des-biologischen-Geschlechts-7332323.html
[7] https://www.heise.de/news/Interview-How-can-IT-security-become-a-better-place-for-female-experts-7362960.html
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