Terroristen online: Der Islamist von nebenan

Viel wird über das Rekrutierungspotenzial der Terrororganisation IS im Internet geschrieben. Auf der re:publica räumte der Radikalismus-Forscher Peter Neumann mit Mythen auf: Alleine über das Internet würden nur wenige Täter radikalisiert.

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re:publica: Die Gotteskrieger des IS und das Netz

Peter Neumann auf der re:publica

(Bild: Torsten Kleinz/heise online)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Torsten Kleinz
Inhaltsverzeichnis

"Terroristen nutzen das Internet nicht viel anders als wir es auch tun", erklärte Peter Neumann, der mit seinem Team am International Centre for the Study of Radicalisation (ICSR) in London forscht, auf der re:publica in Berlin. So hätten die Internetaktivitäten der Terrororganisationen die gleichen Trends durchlaufen wie auch das übrige Netz. Organisationen wie Al Quaida etwa hätten noch vor 15 Jahren auf Websites zur Verbreitung ihrer Propaganda im Netz gesetzt.

Diese statischen Websites seien allerdings schon bald durch Foren ersetzt worden, die den Islamisten aus verschiedenen Ländern Anknüpfungspunkte und Kontakte lieferten. Hier konnten sie Gleichgesinnte treffen und sich mit ihnen zu vielen Themen austauschen – bis hin zum bewaffneten Kampf und Anschlagsplanung.

Diese ersten soziale Netzwerke haben die Bewegung verändert: Die Islamisten mussten nicht ständig Nachwuchs anwerben, sondern bekamen über die Foren selbständig Zulauf. Erste Kämpfer, die Twitter nutzten, verstärkten den Trend zu Social Media. Der US-Amerikaner Omar Hammami setzte insbesondere auf Twitter, um Islamisten in aller Welt von seinem Kampf in Somalia zu berichten. Dem Beispiel des 2013 Getöteten seien inzwischen Hunderte anderer Kämpfer gefolgt, die unter anderem ihre Erfahrungen in Syrien per Kurznachrichtendienst in positivstem Licht darstellten.

Indem sie Plattformen wie Twitter und YouTube nutzten konnten Organisationen wie der IS gezielt um Nachwuchs in westlichen Ländern werben. So sei es durchaus möglich gewesen, dass unbedarfte Nutzer plötzlich über islamistische Inhalte stolperten.

Dass Kämpfer oder Terroristen alleine über Internet-Kontakte angeworben wurden, sei aber die große Ausnahme. Stattdessen konnten die Forscher Cluster von IS-Zellen entdecken, die sich zum Beispiel in Städten wie Wolfsburg, Solingen oder Mönchengladbach gebildet hatten. Aus diesen Orten machten sich viele junge Männer auf den Weg nach Syrien. Ihnen gemein war, dass sie sich meist untereinander kannten, teilweise sogar den gleichen Familien angehörten. Statt fremde Nutzer per Twitter anzuwerben, sei die Rekrutierung im schon bestehenden sozialen Umfeld erfolgreich gewesen.

Gleichzeitig boten die öffentlichen Accounts der IS-Mitglieder den Forschern aber auch Gelegenheit, die Kommunikationsnetze zu analysieren. So stellten Neumann und Kollegen überrascht fest, dass einige der einflussreichsten Figuren in den sozialen Netzwerken niemals in Syrien waren. Einer der einflussreichsten Prediger lebte zum Beispiel in Neuseeland. Die von den meisten Kämpfern genutzte Informationsquelle über die Ereignisse im Kampfgebiet entpuppte sich als 21jähriger Informatikstudent in Bangalore.

Die über soziale Netzwerke verbreiteten Videos von Enthauptungen seien nicht Teil dieser Rekrutierungsstrategie, sondern ein Teil der Kriegsführung der Terrormiliz. So sei das Ziel nicht, so viele Menschen wie möglich zu töten, sondern sie möglichst effektiv zu terrorisieren. Durch gezielte Verbreitung von Greueltaten konnte der IS etwa erreichen, dass Dörfer widerstandsfrei geräumt wurden, noch bevor die ersten Kämpfer eintrafen.

Die Bemühungen, die Inhalte und Accounts von IS-Unterstützern von sozialen Medien zu löschen, seien oft richtig, doch nur begrenzt erfolgreich. "Der Gesetzgeber sollte sich nicht selbst täuschen und annehmen, das Problem würde dadurch gelöst", sagte Neumann in Berlin. Der IS habe seine Kommunikation inzwischen von öffentlichen sozialen Netzwerken auf verschlüsselte Messenger wie Telegram verlagert, was es erheblich schwerer mache, ihre Aktivitäten zu verfolgen.

Statt sich nur darauf zu konzentrieren, Inhalte zu löschen, sei es sehr wichtig, in sozialen Medien Stimmen hörbar zu machen, die gegen die Radikalisierung angehen. Zwar gebe es von offiziellen Organisationen schon erste Bemühungen, die aber nicht sehr erfolgreich seien. "Ein 70 Jahre alter Prediger, der anhand des Korans erklärt, warum der IS theologisch falsch liegt – mit solchen Videos erreicht man keine 17-Jährigen", erklärte Neumann. Er plädierte dafür, dass die entsprechenden Organisationen Medientrainings bekommen, um ihre Botschaften ansprechender zu gestalten.

Möglich sei auch ein Wettbewerb, mit denen die medienkompetenten Jugendlichen animiert werden, ihre Meinung über den IS kundzutun. Eine solche Aktion könnte nach Überzeugung des Forschers auf einen Schlag mehr Effekt haben als alle bisher produzierten staatlichen Aufklärungsprogramme. (mho)