Neues Kapitel im Siemens-Skandal: Manager der Netzwerksparte vor Gericht

"Das ist sicher ein Verfahren, das alle börsennotierten Unternehmen wachrüttelt und neue Sensibilität im Bereich Korruptionsbekämpfung bringt", sagt Oberstaatsanwalt Anton Winkler zum Prozess gegen eine der Schlüsselfiguren im Siemens-Schmiergeldskandal.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 5 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Christine Schultze
  • dpa

In Deutschlands größtem Schmiergeldskandal bei Siemens steht ab Montag erstmals eine der Schlüsselfiguren vor Gericht. Es könnte der Auftakt für eine ganze Prozesswelle in der milliardenschweren Affäre um schwarze Kassen des Konzerns werden. Vor dem Landgericht München I muss sich ein früherer Manager der Siemens-Festnetzsparte ICN in dem Mammut-Verfahren wegen Untreue in 58 Fällen verantworten. Noch ist unklar, wieviele der mittlerweile rund 300 Beschuldigten im Siemens-Skandal letztlich noch vor Gericht kommen werden. In jedem Fall gilt die Bedeutung des Siemens-Komplexes auch bei der Staatsanwaltschaft München schon jetzt als außergewöhnlich: "Das ist sicher ein Verfahren, das alle börsennotierten Unternehmen wachrüttelt und neue Sensibilität im Bereich Korruptionsbekämpfung bringt", sagt Oberstaatsanwalt Anton Winkler.

Der angeklagte frühere Siemens-Manager gilt deshalb als Schlüsselfigur in der Affäre, weil er den Ermittlern schon früh umfangreiche Erkenntnisse über das System schwarzer Kassen geliefert haben soll. Laut Anklageschrift baute er dies auf, um dem Konzern damit Vorteile bei der Auftragsvergabe zu verschaffen. Über Scheinverträge soll das Geld in die Kassen geflossen und anschließend an Entscheidungsträger weitergereicht worden sein. Auf diese Weise habe der Ex-Manager mehr als 50 Millionen Euro vom Konzernvermögen veruntreut, legt ihm die Staatsanwaltschaft zur Last.

Ob und wie ausführlich sich der Angeklagte zu diesen Vorwürfen in dem bisher auf 15 Verhandlungstage angesetzten Prozess äußert, ist derweil offen. Falls er die Aussage nicht verweigert, könnten auch neue Details in dem Skandal ans Licht kommen. Aufschluss erhofft sich das Gericht zudem von den zahlreichen Zeugen, die zu dem Prozess geladen sind, darunter der frühere Siemens-Chef Heinrich von Pierer, der am 20. Juni vor Gericht erscheinen soll, der einstige Chef des Telekommunikationsbereichs, Thomas Ganswindt und der frühere Siemens-Korruptionsbekämpfer Albrecht Schäfer. Aber auch der amtierende Siemens-Finanzvorstand Joe Kaeser ist geladen. Wer letztlich tatsächlich aussagt, bleibt allerdings vorerst unklar. Wie in anderen Verfahren auch haben die Zeugen das Recht, ihre Aussage zu verweigern, falls sie sich dadurch selbst belasten würden.

Pierer, der rund 13 Jahre an der Konzernspitze stand, ist selbst vorerst um strafrechtliche Ermittlungen herumgekommen. Gegen ihn und weitere frühere Mitglieder der Siemens-Führungsspitze ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Verletzung der Aufsichtspflicht. In diesem sogenannten Ordnungswidrigkeiten-Verfahren droht ihnen nun eine Geldbuße von jeweils bis zu einer Million Euro. Dagegen muss der angeklagte frühere Siemens-ICN-Manager bei einer Verurteilung möglicherweise eine mehrjährige Haftstrafe fürchten.

Für Siemens selbst sind die finanziellen Auswirkungen des Skandals um dubiose Zahlungen von rund 1,3 Milliarden Euro noch nicht überschaubar. Schon bisher hat die Aufarbeitung den Konzern rund 1,8 Milliarden Euro gekostet, und dabei ist die größte Gefahr noch längst nicht gebannt: Von der mächtigen US-Börsenaufsicht SEC droht Siemens möglicherweise eine Milliarden-Strafe, die Verhandlungen darüber könnten sich noch viele Monate hinziehen. Bittere Pille des Prozesses für das Unternehmen könnte nun sein, dass der Eindruck entstehe, der Skandal weite sich noch einmal aus, sagt ein Beobachter – obwohl in Wirklichkeit vielleicht nur die Zusammenhänge bereits bekannter Details öffentlich werden.

Aber auch die sieben mit dem Siemens-Komplex befassten Staatsanwälte sehen ihre Arbeit noch längst nicht am Ende: Sie hätten alleine einen elektronischen Datenberg von fünf Terabyte zu sichten, das entspreche rund 500 Millionen Schreibmaschinen-Seiten, rechnet Oberstaatsanwalt Winkler vor. Die zahlreichen schriftlichen Unterlagen seien da noch gar nicht eingerechnet. Juristisch könnten mit dem Fall Siemens wichtige Erfahrungen gesammelt werden, glaubt der Oberstaatsanwalt. "Gerade im Bereich Korruption ist die Rechtsprechung teilweise noch nicht sehr gefestigt." (Christine Schultze, dpa) / (jk)