KI liest verkohlte Papyrusrollen der Antike

Ungeöffnete, verkohlte Schriftrollen, im Jahr 79 von Lava zugedeckt, geben erste Inhalte preis. Künstliche Intelligenz entzifferte Textbrocken aus CT-Aufnahmen.

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Eine verkohlte Papyrusrolle aus einer antiken Bibliothek, die im Jahr 79 in Lavamassen des Vesuvs versank. Durchleuchtet von einem Teilchenbeschleuniger und analysiert durch KI gibt sie nun erste Textstellen preis.

(Bild: University of Kentucky)

Lesezeit: 2 Min.

Im März rief eine Gruppe von Forschern und Instituten die Vesuvius Challenge aus. Die ausgelobte Belohnung erhält derjenige, der die ersten Buchstabenfolgen oder sogar die ersten Textsegmente verkohlter, altertümlicher Papyrusrollen entziffern kann. Nun geht der erste Teil der Belohnungen an zwei Studenten, die mit eigens trainierten KI-Modellen Buchstaben und ein erstes Wort erkannten und an anderer Stelle sogar vier Spalten mit jeweils mehr als sechs Zeilen fanden.

Die Papyrusrollen wurden im Jahr 79 unter dem Ascheregen und den Lavamassen eines Vesuv-Ausbruchs begraben. Es handelt sich um eine Bibliothek aus 800 Rollen in dem antiken Ort Herculaneum, einem Nachbarort des bekannteren Pompeji. Von diesen Schriftrollen versprechen sich Historiker viel, aber es gelang nie, einzelne dieser Schriftstücke auszurollen und zu entziffern. Bei allen Versuchen zerfielen die Papyrusstreifen in Bruchstücke. Zudem wurden sie offenbar mit einer Tinte aus Kohlenstoffpigmenten beschrieben; da sind Unterschiede zum verkohlten Papyrus kaum auszumachen.

Ein Team um Brent Sales an der University of Kentucky in Lexington ließ zwei bisher ungeöffnete Schriftrollen von einem Teilchenbeschleuniger durchleuchten. Ihre Hoffnung war, dass die dabei entstehenden hochauflösenden Aufnahmen erlauben, ganze Textpassagen zu entziffern. Mit Spannung verfolgten sie die Bemühungen der Teilnehmer an der Vesuvius Challenge. Auf einer Pressekonferenz am vergangenen Donnerstag konnten sie nun die Erfüllung des ersten von zwei Teilzielen verkünden.

Unabhängig voneinander hatten zwei Studenten der Computerwissenschaften, Luke Farritor an der University of Nebraska-Lincoln und Youssef Nader an der Freien Universität Berlin, Modelle trainiert, die sich als erfolgreich erwiesen. Beide erkannten eine Reihe griechischer Buchstaben und ein erstes Wort. Nader, der etwas später als Farritor seine Entdeckungen einreichte, hatte an anderer Stelle auf dem Papyrus sogar vier Spaltenreihen mit jeweils über sechs Zeilen ausmachen können. Gleichwohl gewann Farritor mit der schnelleren Lösung 40.000 Dollar, Nader erhielt 10.000 Dollar.

Die Vesuvius Challenge läuft noch bis Jahresende weiter. Der Hauptpreis für die Entzifferung von vier verschiedenen Textpassagen mit jeweils wenigstens 140 Zeichen ist mit 700.000 Dollar dotiert. Die Wissenschaftler sind hoffnungsvoll, dass ihnen weitere Durchbrüche Einblicke in originale Texte aus der Antike verschaffen; in Texte, die vor 2000 Jahren genau so geschrieben worden sind und nicht immer wieder von Mönchen und Schriftgelehrten abgeschrieben und redigiert wurden, um sie durch die Jahrhunderte zu tragen.

(agr)