Das chinesische Internet-Paradoxon

Trotz staatlicher Zensur sorgt das Internet in China für mehr freie Meinungsäußerung, berichtet Technology Review in seiner aktuellen Ausgabe.

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Trotz staatlicher Zensur sorgt das Internet in China für mehr freie Meinungsäußerung, berichtet Technology Review in seiner aktuellen Ausgabe (seit dem 27. Mai am Kiosk oder hier portokostenfrei online zu bestellen).

Chinas Internet explodiert förmlich in Größe und Komplexität. Das Land hat heute rund 384 Millionen Internetnutzer, was fast einem Viertel der Anwender weltweit entspricht. Hinzu kommen 750 Millionen Handynutzer, von denen viele über ihr Mobiltelefon online gehen. Das rasante Wachstum dieses Netzwerkes, gepaart mit der Kreativität und dem Wagemut seiner Nutzer, prägt das chinesische Web mindestens so stark wie die Repressionen der Regierung.

Für die Zensur im inländischen Internet nutzt das Regime unter anderem das anspruchsvollste nationale Internet-Filtersystem der Welt. Zwar wird es oft in Anlehnung an die Chinesische Mauer als "Große Firewall" bezeichnet, doch in Wirklichkeit handelt sich dabei eher um eine Mischung verschiedener Strategien als um ein einheitliches Gebilde. Auf Provider-Ebene werden verbotene westliche Webseiten wie die Videoplattform YouTube, das soziale Netzwerk Facebook und der Kurznachrichtendienst Twitter unterdrückt – genauso wie Seiten, deren Adresse auch nur einen einzigen Begriff von der stetig wachsenden Liste politisch sensibler Schlagwörter und Themen enthält.

Gleichzeitig lässt die Regierung aber inländische Konkurrenzdienste zu populären, westlichen Internet-Angeboten wie etwa die Youtube-Kopie YouKu zu. "Er ist zwar zensiert, wird von den Menschen aber dennoch für besser gehalten, weil er in Mandarin-Chinesisch von Chinesen betrieben wird", erklärt Hal Roberts vom Berkman Center for Internet and Society in Harvard, der als führender Experte für Internet-Filterung und -Überwachung gilt. Die einheimischen Alternativen zu den bekannten westlichen Web-2.0-Diensten erfreuen sich außerordentlicher Beliebtheit. Neben der YouTube-Kopie YouKu gibt es in China statt Facebook das soziale Netzwerk Douban, dessen Nutzer mehr zu Themen wie Film- und Buchkritiken tendieren als zu persönlichen Mitteilungen. Und die chinesischen Forenseiten, allen voran QQ, die zweitgrößte Webseite Chinas und die zehntgrößte der Welt, brodeln förmlich vor Debatten – auch über aktuelles Zeitgeschehen.

"Das Internet hat dem chinesischen Volk mehr Macht gegeben als 30 Jahre Wirtschaftswachstum, Urbanisierung, Exporte und ausländische Investitionen zusammen“, erklärt Yasheng Huang, Professor für Internationales Management an der Sloan School, der renommierten Management-Hochschule des Massachusetts Institute of Technology (MIT). "In China gibt es vielleicht keine freie Rede, aber zumindest eine freiere Rede, weil das Internet für die chinesische Bevölkerung eine Plattform zur Kommunikation geschaffen hat.“ (wst)