zurück zum Artikel

Krebspatientin: "Ich möchte meine Daten teilen können​"

Marie-Claire Koch
Frau mit Kind

(Bild: Lenar Nigmatullin/Shutterstock.com)

Welche Auswirkungen die schleppende Digitalisierung im Gesundheitswesen für Patienten haben kann, erzählt Paulina Ellerbrock im Gespräch mit heise online.

Paulina Ellerbrock

(Bild: Ellerbrock)

Bei Paulina Ellerbrock wurde 2017 eine seltene Form von Brustkrebs diagnostiziert. Wir haben mit ihr über die medizinischen Herausforderungen ihres wenig erforschten Krankheitsverlaufs, die schleppende Digitalisierung und die elektronische Patientenakte gesprochen.

Ansichten zur elektronischen Patientenakte und Gesundheitsdaten

heise online hat mit Experten über den Fortschritt der Digitalisierung im Gesundheitswesen gesprochen.

heise online: Sie engagieren sich intensiv und aktiv in der Digitalisierung des Gesundheitswesens. Wie kam es dazu?

Paulina Ellerbrock: Ich habe mit 30 Jahren die Diagnose Brustkrebs erhalten. Überfordert und mit einem kleinen Kind zuhause, begann ich eine Chemotherapie, die jedoch nicht wirkte und der Tumor wuchs weiter. Neben der bekannten und aggressiven triple-negativen Klassifizierung der Zellen, entdeckte man auch die selteneren metaplastischen Eigenschaften. Diese betreffen etwa 0,8 Prozent aller Krebsarten. Es gab keine klaren Behandlungsrichtlinien und die Ärzte mussten experimentieren. Trotz fortgesetzter Chemotherapie kam es zu einem aggressiveren Rückfall.

Der Tumor teilte sich unkontrolliert, und es gab kaum Referenzfälle für meine Situation. Trotz der Risiken entschieden die Ärzte sich für eine gleichzeitige Chemotherapie und Bestrahlung, was zu schweren Verbrennungen führte (Radiation Recall Effect). Diese intensive Behandlung, zusammen mit einer Brustamputation, rettete jedoch mein Leben – ich bin jetzt krebsfrei.

In dieser Zeit fehlten mir Referenzen und Austauschmöglichkeiten. Viele Blogs, die ich online fand, wurden nicht fortgeführt, was Fragen aufwarf. Meine Schwester brachte mich dann irgendwann zum Bloggen, indem sie sagte: "Vielleicht musst du gefunden werden!". Über Instagram vernetzte ich mich dann mit anderen Betroffenen, tauschte Erfahrungen aus und beantwortete Fragen. Mein Blog wurde sogar für Ärzte mit ähnlichen Patientenfällen eine Informationsquelle. Obwohl meine Krebsgeschichte erzählt ist, gibt es noch viel zu teilen.

Was sollte sich Ihrer Ansicht nach ändern?

Es gibt zu viele Themen, die einfach unbefriedigend sind, die in einem eigentlich sehr privilegierten Gesundheitssystem schlecht umgesetzt wurden. Die Kluft zwischen dem, was medizinisch möglich ist und zwischen dem, wo ich als Patient niedrigschwellig überhaupt herankomme, wird immer größer. Das macht mir Angst und da schaue ich hin. Mit meiner Freundin habe ich dann einen Podcast gestartet. Unser Konzept war, Patienten zu bilden, weil wir festgestellt haben, dass das Wissen um eine Erkrankung, gepaart mit der Vernetzung mit anderen, die Selbstbestimmung unglaublich stärkt.

Das Wissen, um eine Entscheidung treffen zu können?

Der Trend zur gemeinsamen Entscheidungsfindung zwischen Patienten und Ärzten ist wichtig, aber oft fehlt die Zeit dafür. Deshalb habe ich Informationen für Krebspatienten nach Hause gebracht, um zu zeigen, wie ein Alltag mit Krebs aussehen kann. Diese Erfahrung fehlte mir früher. Krebs ist nicht nur eine medizinische, sondern auch eine sehr persönliche Erfahrung – von Gesprächen zu Hause bis hin zu emotionalen Momenten. Ich wollte praktische Tipps für den Alltag geben, wie das Ausleeren einer Spülmaschine oder den Kauf eines Blumenstraußes.

In unserem Podcast [3] haben wir Experten eingeladen, um authentische Einblicke in den Umgang mit Krebs zu geben. Mit yeswecancer haben wir die erste YesCon [4] deshalb mit lebensnahen Themen und Inhalten gefüllt und gezeigt, dass die Krankheit sich durch alle Lebensbereiche wie Politik, Sport und Musik zieht und nicht nur in meinem eigenen Wohnzimmer stattfindet.

Nach sechs Jahren, davon zwei in schwerer Krebstherapie, lebe ich heute mit den Folgen der Krankheit, habe einen Pflegegrad und bin teilweise erwerbsgemindert. Krebs hat mein Leben verändert, aber ich habe mir auch vieles zurückerobert.

Ja, der Austausch ist sicher gut, vor allem wenn bei den Patientinnen auch oft Unsicherheit herrscht?

Es ist gut, wenn man das Gefühl hat, dass das, was ich mache, hilft. Ich möchte mein Leben selbst in die Hand nehmen und die Verantwortung dafür zumindest mittragen. Aber das, was die Patientinnen für ihren Teil unternehmen wollen, geht oft unter. Einerseits, weil die Zeit für das Teilen der Verantwortung mit dem Arzt fehlt, andererseits im Kompetenzgerangel und den verschiedenen Ansätzen der Ärzte. Der eine sagt etwa ketogene Ernährung hilft, der andere sagt, es ist die basische Ernährung. Und genau da würde ich mir Schnittstellen der Themen wünschen, die außerhalb des Behandlungszimmers in der Eigenverantwortung und Selbstbestimmung wichtig sind. Die gibt es aber aktuell nicht.

Für welche Bereiche meinen Sie das genau?

Thorsten Schlomm, Urologe an der Charité, hat gesagt, dass wir eine sehr antiquierte Herangehensweise haben, die uns behindert. Krebsarten werden beispielsweise bislang lokal unterteilt, Brustkrebs wird im Brustzentrum behandelt, jemand mit Knochenkrebs ist auf Orthopädie angewiesen. Die Wirkmechanismen könnten vielleicht einen Ursprung haben. Anstatt dass die Spezialisten voneinander profitieren, kocht jede Abteilung weiter ihr eigenes Süppchen.

Bei meiner Krebsart lagen keine Daten vor, deswegen werde ich bei LinkedIn, bei Instagram von anderen Krebszentren angeschrieben und gefragt, wie ich denn behandelt wurde, was ich datenschutzrechtlich ebenfalls nicht ganz unbedenklich finde. Es gibt auch Facebook-Gruppen zu bestimmten Krebsarten, in denen auch Ärzte nach Möglichkeiten suchen, ihre Patienten zu behandeln. Es fehlen also Möglichkeiten.

Können Sie Ihre Daten nicht spenden?

Paulina Ellerbrock mit sehr kurzen Haaren

Paulina Ellerbrock mit sehr kurzen Haaren

Ich bin offen dafür, meine Daten für Forschungszwecke [5] bereitzustellen. Viele Behandlungen werden autodidaktisch von Ärzten entwickelt, da es an Studien mangelt, besonders wenn kein finanzieller Anreiz besteht, wie bei natürlichen Heilmitteln. Studien sind oft wirtschaftlich motiviert, um Medikamente zu vermarkten. Bei mir geht es jedoch um genetische Forschung, um Parallelen zu finden. Mein Tumor wuchs extrem schnell, und es war unklar, an welcher Studie ich teilnehmen sollte. Als Patient hofft man, von Studien zu profitieren, und ich hatte Glück mit den Entscheidungen meiner Ärzte.

Obwohl Daten für Studien gesammelt werden, fehlt oft die Bereitstellung für Forschungszwecke. Es sollte möglich sein, Daten anonymisiert oder offen zur Verfügung zu stellen, aber es gibt kaum Optionen dafür. Ich möchte selbst bestimmen können, wie meine Daten verwendet werden, was im aktuellen System nicht möglich ist. Wir brauchen dringend bessere Lösungen, ähnlich wie bei der elektronischen Patientenakte [6].

Und auch sonst war der gesamte Prozess für Sie wahrscheinlich mit sehr vielen bürokratischen Aufwänden verbunden, oder?

Mir fehlen Kommunikationsschnittstellen im Sozialversicherungssystem. Ich muss alles analog verwalten, was viel Zeit und Mühe kostet, besonders als Krebspatient. Von der Lohnfortzahlung bis hin zu Anträgen auf Rehabilitation und dem Schwerbehindertenausweis – alles erfordert einen logistischen Mehraufwand für eine Gruppe, die gesundheitlich eingeschränkt ist. Ich musste oft quer durch Hamburg fahren, um Rezepte von verschiedenen Spezialisten zu bekommen, manchmal sogar mehrfach, wenn Fehler auftraten. Dabei ging es nur um Nachweise für Medikamente und Behandlungen, nicht um Untersuchungen.

Obwohl es Fortschritte wie das E-Rezept [7] und die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung [8] gibt, erleichtert das bisher wenig. Das Problem ist, dass das analoge System einfach ins Digitale übertragen wird, ohne die Benutzerfreundlichkeit zu verbessern. Vorschläge wie eine Krankenkassen-App oder die Krankenkassenkarte sind nicht hilfreich. Es ist absurd, dass jede Praxis ein Kartenlesegerät benötigt. Wir brauchen echte digitale Lösungen, die den Alltag erleichtern.

Würden Sie sagen, dass die fehlende Usability zu den größten Hindernissen gehört?

Ja, aber mir fehlen vor allem die notwendigen Schnittstellen, um Informationen möglichst schnell, vollständig und komfortabel an die entsprechenden Stellen zu übermitteln. Alle sprechen immer von papierlosen Büros, aber ich muss einzelne Dokumente, oft mehrere hundert Seiten, kniend im Wohnzimmer kopieren und an Scan(!)zentren schicken, wo sie eingescannt und entsorgt werden. Das ist absurd. Wer gewährleistet, dass die Briefe nicht abgefangen und gelesen werden? Und selbst wenn supermoderne Gesundheitszentren mit modernster Medizintechnik gebaut werden, steht dort trotzdem ein Fax, weil das das einzige Medium für schnelle Kommunikation mit anderen medizinischen Bereichen, oder zuarbeitenden Stellen ist – auch die des Sozialsystems. Interoperabilität ist ein großes Thema. Das ist einfach ein ganz großes Konvolut aus allen möglichen Problemen und Abhängigkeiten. Am Ende leiden Patienten und Arzt.

Was halten Sie davon, dass die Krankenkassen die Daten verwalten?

Die Krankenkasse ist ein privates Wirtschaftsunternehmen. Ich möchte meine Daten selbst verwalten. Das muss die Denke sein. Und zwar nicht in analoger Zettelform, sondern man braucht andere, vielleicht auch schlankere Systeme. Warum wird nicht zuerst das digitalisiert, was man wirklich braucht, damit auch Patienten und Ärzte schnell an die Daten kommen, die sie für die Versorgung brauchen. Dahingehend hat mich die elektronische Patientenakte sehr enttäuscht.

Was wäre denn Ihre Idee?

Meine Idee ist einfach: Warum bekommen wir nicht mit Geburt eine Steuernummer und einen Hostingplatz, auf dem wir Daten sammeln, etwa Patientenakten. Dabei administrieren wir das selbst und geben die Datenherrschaft nicht an Dritte ab. Wir haben die Zugangsdaten und ich kann das als Patientin autonom verwalten. Als Patientin möchte ich weniger Verwaltungsaufwand. Der wesentliche Teil ist das Antragswesen. Viele Akteure können oder wollen nicht miteinander kommunizieren, das muss ich als Patientin dirigieren, aber ich habe ja keine Datenherrschaft, nur die analoge. Hier würde ich gerne technisch eine Konstruktion haben. Ich könnte jederzeit die Daten hochladen, die ich benötige und ablegen möchte und schnittstellenkompatibel mit anderen teilen, die diese Daten von mir brauchen.

Wer soll das System dann bereitstellen?

Eine unabhängige, staatlich regulierte Stelle soll die allgemeine Akten- und Datenverwaltung bereitstellen, ähnlich wie eine Steuerplattform. In dieser Einrichtung würden nicht nur Kranken- und Gesundheitsakten geführt, sondern auch wichtige Dokumente wie Sozialversicherungsausgleiche gespeichert. Diese könnten dann bequem an den Arbeitgeber weitergeleitet werden. Alles wäre in einem virtuellen Speicher zusammengefasst, was eine effiziente und umfassende Akten- und Datenverwaltung ermöglichen würde.

Wie sollten die Daten dann gesichert werden?

Das System sollte auf jeden Fall geschlossen sein. Die Oktopus-Arme sollten gar nicht so weit reichen. Aktuell ist es so, dass ich mich für jedes einzelne System, lassen wir es zehn sein, registrieren muss und dann teilweise erst nach zwei Tagen ein neues Passwort erhalte.

Müssen bestimmte Gesundheitsdaten Ihrer Ansicht nach dann geteilt werden oder sollte das freiwillig geschehen?

Man sollte die Möglichkeit haben, seine Gesundheitsdaten für Forschungszwecke freizugeben. Derzeit sind die Daten auf verschiedene Krankenhäuser und Praxen verteilt, was den Austausch erschwert. In anderen Bereichen funktioniert das Teilen von Daten bereits problemlos. Anreize zum Datenaustausch sind nötig, wie wir beispielsweise bei der Nutzung der Luca-App [9] während der Corona-Pandemie gesehen haben.

Aktuell behindern Datensilos den Informationsfluss. In der Notaufnahme fehlen beispielsweise wichtige Informationen, weil diese erst aus der Onkologie freigegeben werden müssen und als Patient hat man darauf keinen Einfluss. Mir fehlt als Patientin aber auch die Transparenz, beispielsweise darüber, wo Ärzte ihre Server hosten. Es scheint keine zufriedenstellende Lösung in Sicht. Uns wird vermittelt, dass Digitalisierung zu Lasten des Datenschutzes geht. Es wird suggeriert, dass Daten sicher gelagert werden. Werden sie das tatsächlich? Wissen Sie, wo Ihre Gesundheitsdaten aktuell gehostet werden?

Viele Menschen leiden unter den komplizierten bürokratischen Kommunikationswegen. Es geht nicht um Datenträgheit, sondern um den falschen Ansatz. Wir sollten diskutieren, wo unsere Daten sind, wer sie verwaltet und wer darüber bestimmt. Trotz der Verfügbarkeit von Daten bei den Krankenkassen fehlt oft das Wissen über den Gesundheitszustand des Einzelnen.

Für mich ist die elektronische Patientenakte ein Witz. Ich als Zielgruppe der elektronischen Patientenakte habe doch nicht 20 Jahre auf so eine Umsetzung gewartet. Sie ist nicht komfortabel oder praktikabel. Die Schnittstellenkompatibilität hat man in diesem Prozess absolut vernachlässigt. Ich muss trotzdem Befunde kopieren und CD-ROMS mit CT-Aufnahmen durch die Gegend tragen und per Post verschicken. Und das, obwohl weder ich noch mein behandelnder Arzt überhaupt noch ein CD-Laufwerk am Endgerät haben. Warum hält man daran fest? Ob ich die Zettel jetzt dort hochlade oder in meinem eigenen Aktensystem. Dann behalte ich die Scans doch lieber bei mir.

Würden Sie die ePA noch einmal testen und diese beispielsweise mit Ihren Vitaldaten verknüpfen?

Die Überwachung von Vitaldaten wie Schrittzahlen durch Ärzte halte ich für unrealistisch, da Ärzte oft nicht die Kapazität haben, solche Daten zu analysieren. Das Gesundheitssystem hat strukturelle Probleme und ist oft überlastet. Die Aufzeichnung von Schritten sehe ich eher als Möglichkeit, Prämien von Krankenkassen zu erhalten, als dass ein Arzt daraus konkrete Schlüsse über meinen Gesundheitszustand zieht.

Aktuell suche ich einen neuen Schmerztherapeuten, dabei ist die schnelle Kommunikation mit Ärzten und Behörden für mich entscheidend. Ein effizientes System, das den Austausch von Daten mit Ärzten, Krankenkassen und Behörden erleichtert, wäre sehr wünschenswert. Es sollte genügend Speicherplatz bieten und eine einfache Datenübermittlung ermöglichen. Oft fehlt es in den Debatten an Tiefe, um die tatsächlichen Bedürfnisse der Patienten zu erfassen. Derzeit sehe ich noch keine zufriedenstellende Lösung.

(mack [10])


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9569666

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/hintergrund/Digital-Health-Gesundheitsdaten-gehoeren-auch-dem-Gesundheitssystem-9540075.html
[2] https://www.heise.de/hintergrund/Elektronische-Patientenakte-Was-Aerzte-wirklich-wollen-9566427.html
[3] https://2frauen2brueste.podigee.io/
[4] https://yescon.org/
[5] https://www.heise.de/hintergrund/Digital-Health-Gesundheitsdaten-gehoeren-auch-dem-Gesundheitssystem-9540075.html
[6] https://www.heise.de/news/Umfrage-74-Prozent-sehen-die-Digitalisierung-des-Gesundheitswesens-als-Chance-9312475.html
[7] https://www.heise.de/thema/eRezept
[8] https://www.heise.de/news/Elektronische-Krankschreibung-Lauterbach-verspricht-einfaches-Verfahren-7548364.html
[9] https://www.heise.de/news/Landesdatenschuetzerin-Luca-App-in-Brandenburg-nur-in-einem-Fall-erfolgreich-7458017.html
[10] mailto:mack@heise.de