Klimaschutz: KI soll die bessere Milch erfinden

Milch, die nicht von Kühen stammt, könnte ein wichtiger Beitrag gegen die Erderwärmung sein. Algorithmen helfen bei der Suche nach passenden Pflanzenproteinen.

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Kuh, Rind
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Hanns-J. Neubert
Inhaltsverzeichnis

Milch gilt als Klimaproblem. Ihre Produzenten, die Milchkühe, rülpsen je nach Rasse und Fütterung 400 bis 700 Liter Methan pro Kuh und Tag. Das summiert sich zu mehr als 56 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen der deutschen Landwirtschaft. Die Ursache ist aber nicht die Kuh, sondern allein die Art und Weise, wie Kühe in industrieller Massentierhaltung gehalten und mit Kraftnahrung gefüttert werden.

Um den Klimawandel zu entschleunigen und dem Rinderelend ein Ende zu machen, können Verbraucher inzwischen auf zahlreiche Milchersatzgetränke zurückgreifen, die aus Hafer, Mandeln, Kokos, Soja, Reis, Lupinen oder Erbsen gewonnen wurden. Mit Ausnahme von reiner Kokosmilch dürfen sie sich allerdings nicht "Milch" nennen.

Doch viele Konsumenten sind mit der Farbe der Ersatzprodukte, ihrem Geschmack oder Konsistenz nicht so richtig glücklich. Um echte Kuhmilch ohne Kuh zu erschaffen, hat jetzt das chilenische Unternehmen "NotCo" eine künstliche Intelligenz programmiert, mit deren Hilfe es jetzt eine Milch namens Not Milk auf den Markt bringen konnte. Sie soll in Geschmack, Farbe und Weiterverarbeitungsmöglichkeiten genau dem Euteroriginal entsprechen, ist aber tatsächlich vollständig aus Pflanzen hergestellt.

Giuseppe, wie das Unternehmen seine KI nennt, analysierte zunächst sämtliche Moleküle, die in Kuhmilch vorkommen. Daraufhin suchte sie in einer Datenbank, in der Moleküle von 300.000 Pflanzenarten gespeichert sind, die passenden Pflanzenstoff heraus, aus denen sich dann der Milchgrundstoff mixen ließ.

Der Guiseppe-Algorithmus kann unendlich viele Kombinationen von chemischen, molekularbiologischen, physikalischen und ernährungsphysiologischen Pflanzeninhaltsstoffen lernen und genau die Kombinationen aus der Datenbank herausfischen, die auch in der Kuhmilch vorkommen. Das daraus gebraute Getränk verbessern Feinschmeckerköche noch sensorisch und melden das Ergebnis als Feedback zurück an Guiseppe, der damit seinen Lernzyklus verbessert. Die Entwicklung der ersten NotMilk-Milch mit zwei Prozent Fett dauerte zehn Monate. Mit diesen Lernerfahrungen gelang es Guiseppe dann, eine Vollmilch in nur zwei Monaten zu entwickeln. Inzwischen gibt es noch eine High-Tech-Milch mit einem Prozent.

Guiseppe dient NotCo aber vor allem auch als Technologieplattform, mit deren Hilfe im Laufe der Zeit auch Burger, Rind- und Hühnerfleisch zunächst in Nord- und Südamerika auf den Markt kommen sollen. Im Februar ging der US-Lebensmittelkonzern Kraft Heinz mit NotCo ein Joint Venture ein, um vor allem die Weiterentwicklung und den Vertrieb zu verstärken.

MINT-Jobtag am 5. April 2022 in München

Die bewährte Jobmesse speziell für den MINT-Bereich geht im Jahr 2022 in eine neue Runde. Das Event bringt Fachrkäfte, Berufseinsteiger und Firmen in München zusammen. Das Tagesprogramm bietet die Unternehmensausstellung, kostenlose Bewerbungsmappen-Checks sowie professionelle Bewerbungsfotos und ein Vorträge von Experten rund um Karriere im MINT-Bereich.

In den vergangenen drei Jahren entstanden einige Startups, die ebenfalls kuhfreie Milchprodukte produzieren. Sie setzen aber auf eine andere Technologie, nämlich auf die so genannte Präzisionsfermentation, auch rekombinante Proteinproduktion genannt. Das ist eine Kombination aus klassischer Fermentation und Präzisionsbiologie, bei der Moleküle quasi wie Software genutzt werden, um daraus neue Enzyme oder Proteine zu designen. Sie ist der nächste Schritt, bei dem jetzt Bio- und Gentechnologien und Bioinformatik die klassische Fermentation so ergänzen, dass sich Mikroben programmieren lassen, um speziell angepasste Moleküle zu produzieren.

Die klassische Fermentation ist Jahrtausende alt und Grundlage der Brot-, Käse- und Joghurtherstellung, aber auch des Bierbrauens und der Weingärung. Dabei zersetzen Bakterien oder Pilze organische Substanzen, meist Zucker, und produzieren daraus quasi als Abfallprodukt neue Stoffe. Dieses Verfahren wurde in den letzten hundert Jahren mit neuen Mikroorganismen verfeinert, die medizinische Wirkstoffe, Vitamine und beispielsweise Enzyme für Waschmittel, herstellen können. In Berlin schlägt das Lebensmittel-Biotech-Startup "Formo", 2019 als LegenDairy Foods gegründet, den Weg der Präzisionsfermentation für die Herstellung tierfreier Milchproteine in Biorektoren.

Seit 2016 forscht das US-Unternehmen Perfect Day an Milch- und Proteinnahrungsmitteln. 2019 erhielt es die erste Zulassung für ein neues tierfreie Milchprotein. Als Vertriebspartner kam inzwischen das Unternehmen "Betterland Foods", das die Milch als "Betterland Milk" in den USA vertreibt und in Israel geht Imagindairy diesen Weg.

Alle Hersteller versprechen, dass ihre Produkte weniger Wasser, weniger Land, weniger Energie verbrauchen – und vor allem sehr viel weniger Klimagase freisetzen. Doch offen bleibt die Frage, ob die Kunstprodukte dazu beitragen können, den Hunger und die Mangelernährung in den armen Ländern zu beenden oder ob sie Lifestyle-Produkte in den reicheren Ländern bleiben.

(bsc)