Immunzellen könnten endlich gegen schwer zu bekämpfende Krebsarten wirken​

Modifizierte T-Zellen bekämpfen bisher nur Blutkrebsarten. Nun sollen sie auch Tumore erledigen – ohne die bisherigen Kollateralschäden in gesundem Gewebe.​

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Krebstkügelchen in Rosa

(Bild: m.mphoto/Shutterstock.com)

Lesezeit: 12 Min.
Von
  • Cassandra Willyard
Inhaltsverzeichnis

In den letzten Jahren wurde die Behandlung einiger schwer zu behandelnder Blutkrebsarten durch Therapien mit veränderten T-Zellen revolutioniert. Diese nutzen das eigene Immunsystem der Patienten, um Krebszellen zu zerstören. Doch bei der Entwicklung der auch CAR-T genannten Therapie gegen Tumore, die die überwiegende Mehrheit der Krebsdiagnosen ausmachen, hatten Forscher nicht viel Erfolg – bisher.

Denn neue Studienergebnisse deuten darauf hin, dass die Wissenschaftler mit CAR-T-Therapien der nächsten Generation endlich Fortschritte machen. Kürzlich stellte das deutsche Biotechnologie-Unternehmen BioNTech auf der Konferenz der Europäischen Gesellschaft für Medizinische Onkologie in Madrid vorläufige Ergebnisse einer klinischen Studie mit einer Therapie unter dem Namen BNT211 vor.

Das Team hatte 44 Patienten mit Tumoren, darunter vor allem Eierstock- und Keimzellentumoren, mit unterschiedlichen Dosen von CAR-T-Zellen behandelt und in einigen Fällen mit einem Impfstoff zur Unterstützung der Therapie. Von den 38 Personen, für die genügend Daten vorlagen, um zu beurteilen, wie gut die Behandlung anschlug, sprachen 45 Prozent an: Ihre Tumore schrumpften oder verschwanden also gänzlich. Die Präsentation konzentrierte sich auf eine weitere Gruppe mit 27 Teilnehmern, die eine höhere Behandlungsdosis erhielten. Bei ihnen stellten die Forscher mit fast 60 Prozent eine noch bessere Ansprechrate fest. Allerdings traten auch hier schwerwiegendere Nebenwirkungen auf.

Dies ist nur eine der Hunderten von CAR-T-Therapien, die sich in der klinischen Erprobung befinden. Die Forscher arbeiten daran, CAR-T wirksamer, präziser und sicherer zu machen. "Wir lernen, wir machen Fortschritte, und ich glaube, dass es bei soliden Tumoren zu funktionieren beginnt", sagt Marcela Maus, Leiterin der zellulären Immuntherapie am Massachusetts General Hospital Cancer Center. "Ich bin sehr zuversichtlich, dass dies eine äußerst nützliche Therapie sein wird." Denn lange hatte, nach Einschätzung von Maus, Pessimismus in Bezug auf die Aussichten von CAR-T-Therapien gegen Tumore geherrscht.

T-Zellen sind Immunzellen, die dem Körper helfen, Infektionen zu bekämpfen, indem sie kranke Zellen zerstören oder andere Immunzellen zum Angriff rekrutieren. Leider fällt es ihnen schwer, Krebszellen zu erkennen. CAR-T-Behandlungen bieten eine Abhilfe. Für diese Therapien werden T-Zellen aus dem Blut eines Patienten entnommen. Anschließend werden die Zellen gentechnisch so verändert, dass sie einen Rezeptor tragen, der als chimärer Antigenrezeptor (CAR) bezeichnet wird und an ein Protein auf der Oberfläche der Krebszelle binden kann. Dann werden diese manipulierten Zellen im Labor gezüchtet, bis ihre Zahl in die Millionen geht. Schließlich werden sie wieder in den Körper injiziert. Wenn die Zellen auf das Protein treffen, das sie erkennen sollen, werden sie aktiviert und beginnen, die Krebszellen zu zerstören. "Sie sind sozusagen ein lebendes Medikament", sagt Andrew Jallouk, Hämatologe und Onkologe an der Vanderbilt University.

Eine der größten Herausforderungen bei der Anwendung dieses Ansatzes gegen Tumore war es, das richtige Protein zu finden. "Das ist es, wonach das ganze Feld wirklich sucht. Wie findet man das richtige Antigen?", sagt Travis Young, Vizepräsident für Biologika bei Calibr, einem Institut innerhalb der Forschungseinrichtung Scripps Research im kalifornischen La Jolla, das sich mit der Entdeckung und Entwicklung von Medikamenten befasst.

Allerdings befinden sich einige der Proteine, die sich am besten als Ziele eignen würden, auch in lebenswichtigem Gewebe. Es besteht also die Gefahr, dass T-Zellen auch gesunde Zellen angreifen, wenn sie eigentlich nur einen Tumor bekämpfen sollten. Genau das geschah in einem Versuch vor 15 Jahren, als Forscher T-Zellen so veränderten, dass sie gegen HER-2 gerichtet waren, ein bei vielen Brustkrebsarten vorkommendes Oberflächenprotein. Eine Patientin geriet Minuten nach der Behandlung in Atemnot und starb fünf Tage später. Die T-Zellen hatten auch geringen Mengen an HER-2-Molekülen auf ihren Lungenzellen erkannt und griffen auch das falsche Zielgewebe an.

BioNTech hat dieses Problem vermieden, indem es ein einzigartiges Protein namens Claudin-6 ins Visier nahm, das nur in fötalem Gewebe und bei einigen Krebsarten, nicht aber in gesundem Erwachsenengewebe vorkommt. Eine andere Möglichkeit der Schadensvermeidung besteht darin, die T-Zellen intelligenter zu machen. Durch die Entwicklung von T-Zellen mit mehreren Rezeptoren können die Forscher Zellen schaffen, die nur dann aktiv werden, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind – eine Art biologisches Logikgatter. Arsenal Bio ist eines der Unternehmen, die diesen Ansatz verfolgen.

So können die Forscher beispielsweise Zellen schaffen, die nur dann aktiviert werden, wenn zwei verschiedene Antigene vorhanden sind (ein "Und"-Gatter), oder Zellen, die bei Vorhandensein eines der beiden Rezeptoren aktiviert werden (ein "Oder"-Gatter). "Man kann mehrere Eingänge für die Zelle schaffen, genau wie bei einem Computer“, sagt Young vom Calibr-Institut. Die T-Zelle kann dann anhand dieser Logik entscheiden, ob sie gerade auf eine Tumorzelle oder eine normale Zelle trifft.

Das entspricht auch mehr der natürlichen Funktionsweise von T-Zellen: Sie haben mehrere Eingänge sowie negative und positive Rückkopplungsschleifen. Arsenal Bio startete im Januar dieses Jahres eine klinische Studie zur Erprobung einer CAR-T-Therapie für Eierstockkrebs. Dieser wird meist so spät erkannt, dass Patientinnen nur noch geringe Überlebenschancen haben.

Manchmal gibt es jedoch kein einzigartiges Protein oder eine Reihe von Proteinen, auf die sich die Behandlung konzentrieren kann. In diesem Fall, wenn es keine tumorspezifischen Zielmoleküle gibt, könnte es möglich sein, sie hinzuzufügen. So berichtete etwa ein Forscherteam der Columbia University Mitte Oktober in der Fachzeitschrift Science, dass sie eine CAR-T-Therapie entwickelt haben, die mithilfe manipulierter Bakterien Tumore markiert.

Die Forscher veränderten einen Stamm von E. coli so, dass er das Gen für ein grün fluoreszierendes Protein trägt, und injizierten die Bakterien in Mäuse. Die Bakterien reicherten sich in den Tumoren der Tiere an, bildeten den fluoreszierenden Farbstoff zusammen mit einem Ankerprotein. Dieses Duo gelangt anschließend auf die Oberfläche der Tumorzellen und wird dort verankert. Dann injizierten sie den Mäusen T-Zellen, die gegen das grüne Protein gerichtet waren. "Wir malen die Tumore grün an, und die T-Zellen können grün 'sehen'", sagt Rosa Vincent, eine auf synthetische Biologie spezialisierte Doktorandin an der Columbia University, die Erstautorin der Studie war.

Warum sich die Bakterien nur in den Tumoren ansammeln, ist nicht ganz klar. Vincent vermutet jedoch, dass es mit der Mikroumgebung des Tumors zu tun hat. "Weil der Tumor so immunsupprimiert ist, bietet er den Bakterien ein perfektes Umfeld für ihr Wachstum", sagt sie. "Man braucht nur eine Zelle, und schon wächst sie exponentiell. Wenn es sich hingegen in gesundem Gewebe ansiedelt, wird es vom Immunsystem sofort beseitigt". Diese Strategie ist noch nicht reif für klinische Versuche, aber das Team denkt bereits darüber nach, wie die Forschung vorangebracht werden kann. Menschen reagieren empfindlicher als Mäuse auf Toxine, die sich auf der Oberfläche von E. coli befinden. "Das größte Risiko besteht also in Sepsis und toxischem Schock“, sagt Vincent weiter. "Aber es gibt so viele technische Strategien, die wir anwenden können, um die Toxizität der Stämme zu verringern."

Die Nutzung des Immunsystems zur Krebsbekämpfung ist ein zweischneidiges Schwert. Die T-Zellen müssen stark genug sein, um bösartige Zellen zu zerstören. Wenn sie jedoch zu stark sind, können sie so viele Entzündungsmoleküle freisetzen, dass sie eine Entzündungsreaktion im ganzen Körper auslösen, die tödlich sein kann. Dieses Problem, das so genannte Zytokin-Freisetzungssyndrom, auch Zytokinsturm genannt, tritt sogar bei zugelassenen CAR-T-Therapien auf. In leichten Fällen fühlt sich das Syndrom wie eine Grippe an, mit Muskel- und Gliederschmerzen sowie Fieber. Doch in schweren Fällen kann diese überschießende Entzündung gefährlich sein.

Das Gleichgewicht zwischen Wirksamkeit und Toxizität ist eine ständige Herausforderung für CAR-T-Therapien, und BioNTech muss noch die richtige Mischung finden. Bei mehr als der Hälfte der Teilnehmer an der Studie trat ein Zytokin-Freisetzungssyndrom auf. Die meisten dieser Vorfälle verliefen glimpflich, aber es gab zwei schwerwiegendere Fälle des Syndroms, darunter ein Patient, der unter akuter Atemnot litt und einige Zeit auf der Intensivstation verbringen musste. Aber die hohe Rate dieses Problems ist ironischerweise "eine Art gutes Zeichen", sagt Maus. Es zeigt, dass die Therapie funktioniert.

Wenn man sicherstellt, dass die T-Zellen nur Krebszellen angreifen, werden die CAR-T-Therapien sicherer, aber die Ärzte möchten die T-Zellen auch zügeln können, wenn sie anfangen, Schäden zu verursachen. Young und seine Kollegen des Calibr-Instituts haben daher eine umschaltbare CAR-T-Therapie entwickelt, die einen Antikörper zur Aktivierung der T-Zellen benötigt.

Zunächst verabreichen die Forscher den Antikörper, der sich an die Krebszellen bindet. Anschließend infundieren sie die T-Zellen, die aktiviert werden, wenn sie an den Antikörper binden. "Ohne den Antikörper richten sich die CAR-T-Zellen gegen nichts", sagt Young. Und da der Antikörper nicht länger als ein paar Tage im Körper verbleibt, "haben die CAR-T-Zellen einen natürlichen 'Aus'-Schalter". Das ermöglicht es den Forschern, die Behandlung zurückzunehmen, wenn es zu unerwünschten Wirkungen kommt.

Bei BioNTech versuchen die Forscher, ein weiteres chronisches Problem der CAR-T-Therapien zu lösen: die Haltbarkeit. Die gentechnisch veränderten T-Zellen halten nicht immer lange genug an, um den Krebs vollständig aus dem Körper zu entfernen. Durch die Kombination der CAR-T-Zellen mit einem mRNA-Impfstoff hoffen sie, ihre Ausdauer zu verbessern. Der mRNA-Impfstoff von BioNTech liefert Anweisungen für die Herstellung desselben Antigens, gegen das sich die T-Zellen richten: Claudin-6. Je mehr Antigen in der Nähe ist, desto mehr werden die T-Zellen angeregt.

Krebszellen tragen natürlicherweise auch Claudin-6 in sich, aber die Mikroumgebung in Tumoren kann die Aktivität der T-Zellen behindern. "Wenn die CAR-T-Zellen dort eindringen und all diese immunsuppressiven Faktoren auf sie einwirken, können sie sich nicht mehr so gut ausbreiten", sagt Jallouk. Der Impfstoff soll sicherstellen, dass die T-Zellen auf Claudin-6 treffen, aktiviert werden und sich sofort gut vermehren.

Die in Madrid vorgestellten vorläufigen Ergebnisse deuten darauf hin, dass dieser Ansatz funktionieren könnte. In der Kontrollgruppe, die den Impfstoff nicht erhalten hatte, "war am 50. Tag die Mehrzahl der [Car-T-]Zellen nicht mehr zu sehen", sagte John Haanen, ein Krebsforscher des Niederländischen Krebsinstituts, der die Ergebnisse vorstellte. Bei den Patienten, die den Impfstoff erhalten hatten, waren die CAR-T-Zellen dagegen langlebiger. Bei vielen von ihnen waren die CAR-T-Zellen noch 90 Tage später vorhanden. "Ob sich das in einer besseren Wirksamkeit niederschlägt, als wenn man den Impfstoff nicht erhält, können wir erst nach weiteren Daten sagen", sagt Jallouk. "Aber ich denke, es ist ein vernünftiger Ansatz, um die Expansion und Persistenz zu verbessern."

Schließlich plant das Unternehmen, eine Phase-2-Studie zu starten, um die Therapie an mehr Patienten zu testen. "Es gibt viele Unternehmen, die in diesem Bereich tätig sind, und es gibt viele neue Technologien, die ausprobiert werden", fügt Jallouk hinzu. Selbst aus Studien, die "kein voller Erfolg" sind, könne man wertvolle Lehren ziehen: "Ich habe große Hoffnung, dass wir irgendwann eine Formel finden, die bei Tumoren gut funktioniert."

(jle)