Digitaler Türsteher

Der japanische Elektronikhersteller Omron hat ein Gesichtserkennungsprogramm darauf trainiert, das Alter von Menschen zu beurteilen.

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Von
  • Martin Kölling

Ein spiegelglattes Gewässer trennt im Kioter Entwicklungszentrum des japanischen Elektronikherstellers Omron die Außen- von der Innenwelt. Ein Sinnbild für den Sanzunokawa, den Totenfluss, der irdisches Mühsal von der Traum- und Totenwelt scheidet. Im mit Designermöbeln bestückten Jenseits sollen Omrons Ingenieure ihre Kreativität austoben. Die neueste Ausgeburt ihrer Fantasie hat das Zeug, zum Schrecken der alkoholdurstigen Partyjugend zu werden. Omron brüstet sich damit, weltweit als erstes Unternehmen eine nahezu marktreife automatische Altersbestimmung vorzustellen. Das Gesichtserkennungssystem kann in Sekundenbruchteilen anhand des Foto- oder Videobildes eines Menschen urteilen, ob eine Person volljährig ist oder nicht.

Das Absatzpotenzial dieser Idee ist riesig in Japan. Denn der Gesetzgeber im Land der aufgehenden Sonne verlangt, dass ab 2008 Hunderttausende von Getränkeautomaten Alkoholika nicht mehr an unter 20 Jahre alte Minderjährige ausspucken dürfen. Für die Vielzahl der Amusement-Center und Videospielhallen wurde der Zugang bereits 2006 verschärft. Außerdem eigne sich das System, um Minderjährigen nicht altersgerechte Inhalte im Fernsehen oder Internet vorzuenthalten, rundet die zuständige Entwicklerin Erina Takikawa Omrons Vorstellung der Einsatzgebiete ab. „Wir hoffen, in ein bis zwei Jahren die ersten Produkte verkaufen zu können.“

Technisch ist das System schon weit fortgeschritten. „Wir haben eine Erkennungsrate von 90,6 Prozent“, sagt Takikawa. Blitzschnell erkennt das Bild selbst in Gruppen gehender und laufender Menschen Gesichter, verfolgt sie mühelos und beurteilt, ob die Wesen erwachsen sind oder jugendlich. Jedes erkannte Gesicht wird dazu auf dem Computerbildschirm mit einem Quadrat markiert und dem jeweiligen Attribut „Erwachsener“ oder „Minderjähriger“ versehen. Um die Arbeit für das potenzielle Überwachungspersonal vor dem Bildschirm einfach zu machen, wandert die Beschriftung hübsch mit den Menschen mit. Selbst durch das Tragen von einer in Japan sehr beliebten Stoffmaske über Nase und Mund, mit denen die Japaner Erkältungsviren abblocken wollen, lässt sich das System nicht austricksen.

Die neue Anwendung ist Teil von Omrons Gesichtserkennungstechnologie „Okao Vision“. Okao ist die höfliche Bezeichnung für Gesicht. Das Unternehmen startete das Projekt 1995 getreu der Unternehmensvision, die Maschinen an den Menschen anzupassen. Besonders der Gesichtserkennung kommt bei der Interaktion von Maschinen und Menschen eine wichtige Rolle zu, erklärt Takikawa: „Das menschliche Gesicht enthält viele Informationen über eine Person wie Geschlecht und Alter.“

Diese Informationen den Maschinen verständlich zu machen, stellt die Forscher vor große Herausforderungen. Zuerst müssen Gesichter in Bildern geortet und verfolgt werden. Der nächste Schwierigkeitsgrad ist die Identitätskontrolle, die heute schon oft eingesetzt wird. Komplexer ist das Auslesen von Körperzuständen wie Müdigkeit oder Zorn und Attributen wie Geschlecht und Alter oder gar Schönheit.

Als erstes Produkt verkaufte Omron seine pure Gesichtserkennungstechnik an Digitalkamerahersteller. Die nutzen sie für Autofokus-Systeme, die automatisch auf Gesichter in Szenen scharfstellen. Als zweites Produkt folgte eine Gesichtserkennung als Verifikation für Handy-Nutzer: Man halte das Handy vors Gesicht, knipse ein Selbstbildnis, und das Handy wird freigeschaltet. Die Gesichtskontrolle, als Sicherheitsmechanismus für die in Japan immer weiter verbreiteten Geldhandys gedacht, hat nur einen Haken. Selbst wenn man dem Handy ein Foto des Besitzer vorhält, schaltet es sich frei.

Im Prototypstadium ist Omrons Idee von der Identifizierung von Menschen in Gruppen, der Traum aller Ordnungshüter zur Kontrolle von Menschenmassen. Sie funktioniert im Prinzip ähnlich wie die Alterskontrolle, nur dass auf dem Bildschirm über dem Bild einer Person nicht die Altersgruppe, sondern der Name eingeblendet wird. Und so bekommt jedes Gesicht in einem Video plötzlich einen Namen, so die Person in der Datenbank erfasst ist.

Um nun von Fotos und Videos das Alter abzulesen, haben die Forscher den Menschen aufs Auge geschaut. „Wir haben analysiert, wohin Menschen schauen, wenn sie ein Gesicht beurteilen“, sagt Takikawa. „Sie richten ihr Augenmerk auf zwei Faktoren, die Knochenstruktur sowie Falten und Tränensäcke. Im nächsten Schritt schaute das Omron-Team, wie der Mensch altert. Ein fünfjähriges Kind hat im Verhältnis zum Gesicht größere und rundere Augen als ein Erwachsener. Das gesamte Antlitz ist runder, doch mit jedem Jahr längt sich das Gesicht. Die Position der Augen rutscht nach oben, die Lider hängen, die Nase wächst wie auch der Mund. Und die Haut wirft Falten. Mit diesen Beobachtungen versehen, wurde das System mit Bildern und Geburtsdaten von zehntausenden Asiaten gefüttert. „Wir haben dem System beigebracht, das Alter richtig einzuschätzen“, erzählt die Ingenieurin.

Die Technik wird ähnlich auch von anderen Herstellern von Gesichtserkennungssystemen genutzt. Auf das Portrait wird ein vorgefertiges, „dreidimensionales Netz" aus 28 Punkten gelegt. Je ein Punkt auf die Augenbrauen, je acht umranden die Augen, zwei liegen unter den Nasenflügel und acht um den Mund – und schon kann die Software ihre Arbeit tun: Verbrecher aufspüren oder Jugendlichen spätabends den Eintritt in die Disco verwehren. Das Verhältnis der einzelnen Punkte zueinander gibt einen nahezu unverwechselbaren Code für eine Person. Und rasend schnell ist es auch. 0,2 Sekunden braucht ein schneller Rechner nur für sein Altersurteil, selbst bei ungünstigen Kamerawinkeln und Lichtverhältnissen. Die Bedingung: Die Gesichter müssen eine Auflösung von mindestens 50 × 50 Pixeln haben.

Das Ergebnis: Das Urteilsvermögen des Systems übertrifft bereits Normalverbraucher um etwa zehn Prozentpunkte, meint Takikawa. „Aber es ist vielleicht doch nicht so gut wie das von Leuten, die mit der Beurteilung viel Erfahrung haben.“ Türsteher zum Beispiel. Die kann man wenigstens bestechen, den Rechner nicht. (wst)